© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/06 27. Januar 2006

Literarische Sternstunde
Theater: "Vita Virginia"
Axel Michael Sallowsky

Man blättere in 500 Briefen und Tagebüchern zweier berühmter Schriftstellerinnen (Virginia Woolf und Vita Sackville-West), suche, finde und füge rasante, intime, provozierende und komische Passagen zu einem dramatischen Mosaik zusammen. Und fertig ist ein außergewöhnliches Literatur- und Theaterstück. Diese dramaturgische Kunststück gelang der englischen Schauspielerin und Bühnen-Autorin Eileen Atkins mit "Vita & Virginia" (1992 uraufgeführt am Chichester Festival Theatre, England), das am 15. Januar an den Hamburger Kammerspielen stürmisch umjubelte Premiere hatte. Und das hat seinen guten Grund.

Der Premieren-Jubel erklärt sich aus einer besonders glücklichen Konstellation (die keineswegs und selbstverständlich zum deutschen Theateralltag gehört): Eileen Atkins filterte mit psychologischem Feingefühl und ebenso dezent wie raffiniert aus den Briefen und Tagebuchaufzeichnungen jene bekennerhaften, geistreichen, Gesellschaft entlarvenden und auch ironischen Texte heraus, die zwei so begnadete Darstellerinnen wie Nicole Heesters (Vita) und Barbara Nüsse (Virginia) so inspirativ sprechen, so virtuos spielen und so kongenial verkörpern, daß man glauben kann, man stünde den beiden historischen Figuren tatsächlich von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Hier erlebt der Zuschauer die absolute Identifikation zweier Schauspieler mit dem, was sie da sprechend, schweigend, mimisch und szenisch auf der Bühne tun.

Der alles abrundende dritte Aspekt an diesem außergewöhnlichen Theaterabend ist die Regie: Ein "Theaterstück" zu inszenieren, das eigentlich keines ist (denn es ist letztlich in Szene gesetzte Literatur), verlangt einem Regisseur nicht nur eine glückliche Regie-Hand ab, sondern auch noch Sinn und Sensibilität für literarische Qualität.

Regisseur Torsten Fischer hatte dieses glückliche Händchen. Er führte (Bühnenbildner Herbert Schäfer schuf ihm dazu einen "raumleeren", magischen Raum) seine Protagonistinnen mit kammermusikalischen Impetus in und durch die geistige und emotionale Welt zweier Frauen, die in ihren bizarren, extravaganten Charakteren gegensätzlicher nicht hätten sein können.

Hier die geniale, sensible, zerbrechliche, tragische, ja auch morbide Virginia, dort die schöne, elegante, Männer wie Frauen vernaschende, mondäne Gesellschaftsdame Vita. Zwei aufregende Frauen, die sich (auch als schriftstellernde Konkurrentinnen) lieben, hassen, verachten, brauchen, einfach nicht voneinander lassen können. Bis hin zur psychischen und physischen Selbstzerstörung.

Zwei Frauen, die immer wieder (alle gesellschaftlichen Regeln mißachtend, zumindest ignorierend) die schmerzvolle geistig-seelische und körperliche Verschmelzung suchen: Um zu lieben und zu leiden. Und doch stets einsam bleiben, eine jede in ihrer Welt und in sich selbst verstrickt.

Nicole Heesters und Barbara Nüsse verleihen den beiden historischen Figuren auf beklemmende Weise eine menschliche Größe, die erschauern läßt. Im Jubelsturm des Publikums lag denn auch ein Erschauern der Befreiung aus zuvor erlebter Atemlosigkeit. Zudem war es der Dank für einen großen Theaterabend an einer kleinen Hamburger Bühne.

Die nächsten Aufführungen finden statt am 31. Januar, 3., 4., 10., 11., 20., 25. und 26. Februar in den Hamburger Kammerspielen, Hartungstr. 9. Info: 040 / 44 62 85 (ab 16 Uhr)


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