© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/06 27. Januar 2006

Frisch gepresst

Walther Rathenau. Fast die Hälfte des 2002 von Christian Schölzel als Leipziger Dissertation eingereichten, nun in gekürzter, aber immer noch opulenter Druckfassung vorliegenden Werkes über den Industriekapitän und kurzzeitigen deutschen Außenminister Walther Rathenau besteht aus Anmerkungen. Das ist ein Ausweis mindestens so einschüchternder Gelehrsamkeit wie die Liste der Archive, die Schölzel im Verlauf einer zehnjährigen Forschungsarbeit in Sachen Rathenau aufgesucht hat, nämlich nicht weniger als 85 Einrichtungen des In- und Auslandes. Und doch scheint, wie eine Wortmeldung Ernst Schulins, des Nestors der Rathenau-Forschung, vor einigen Wochen nahelegt, der bei weitem wichtigste Aktenbestand Schölzels Aufmerksamkeit entgangen zu sein: der Nachlaß im legendären Moskauer "Sonderarchiv". Im Rahmen der Werkausgabe kündigt Schulin für 2007/08 eine daraus geschöpfte Briefedition an, die wirklich Neues zur Biographie des Vielbegabten liefern werde. Ob dann wirklich das Haltbarkeitsdatum von Schölzels Monographie abläuft, darf zumindest für die gründlichen Kapitel über den Unternehmer Rathenau bezweifelt werden, während die Darstellung des politischen Publizisten und nietzscheanischen Kulturkritikers, die bei Schölzel zu unkritisch ausfällt, eine durch neues Material fundierte Korrektur vertragen könnte (Walther Rathenau. Eine Biographie. Schöningh Verlag, Paderborn 2005, 652 Seiten, gebunden, 49,90 Euro).

Atlantiker. Nicht zuletzt Guantanamo, Foltergefängnisse oder CIA-Entführungen sorgten dafür, daß so mancher "Atlantiker" in Argumentationsnöte gekommen ist, wenn er seine "uneingeschränkte Solidarität" mit den USA zu begründen trachtete. Begierig dürften jene daher die Argumentationshilfen aufgreifen, die in dem Aufsatzband des Politologen Michael Zöller und des NZZ-Auslandsredaktionsleiters Hansrudolf Kamer zu finden sind (Der Westen - was sonst? Amerika und Europa brauchen sich noch. NZZ-Verlag, Zürich 2005, 216 Seiten, gebunden, 33 Euro). Mehr sollte man allerdings auch nicht erwarten. Die im Vorwort angekündigte "Beleuchtung der zukünftigen transatlantischen Beziehung" gerät dann doch zu sehr zum Postulat einer Vasallentreue im Kampf gegen das Böse. Da hilft es wenig, Unterschiede zwischen "Mars und Venus" zu sezieren, die so groß gar nicht sind, daß in ihnen der Grund der Spannungen verborgen sind.


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