© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/06 03. Februar 2006

Truppe in höchster Unruhe
Bundeswehr: Nach der Entlassung zweier Generäle ist der Verteidigungsminister angeschlagen / Rolle des Generalinspekteurs
Paul Rosen

Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) ist noch keine 100 Tage im Amt, da rumort es schon in Truppe und Ministerium. Erst ließ der oberste Chef der rund 250.000 Bundeswehr-Soldaten zu, daß steuerfreie Verpflegungszuschüsse für Soldaten von heute auf morgen gestrichen wurden. Das hat die Stimmung in der Truppe nach unten gedrückt. Und dann versetzte Jung durch die Entlassung der beiden Generäle Hans-Heinrich Dieter und Jürgen Ruwe die Führung der Bundeswehr in höchste Unruhe.

Jung, zuvor Fraktionsvorsitzender der CDU im hessischen Landtag und bis auf den Jahrzehnte zurückliegenden Wehrdienst ohne Bundeswehr-Erfahrung, wird offenbar so schlecht beraten, daß sich die Zukunftsprognosen für den Vertrauten von Hessens Ministerpräsidenten Roland Koch am Kabinettstisch von Angela Merkel verschlechtern. Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) war selbst überrascht, wie leicht er Jung die Steuerfreiheit der Verpflegungskosten abhandeln konnte. Kein anderer Politiker, der auf seine Klientel achten muß, hätte das mit sich machen lassen. Für die bald anstehenden Verhandlungen über den Etat 2007 stellt man sich in der Bundeswehr-Führung auf das Schlimmste ein. Wer sich so leicht wie Jung vom Finanzminister das Geld abjagen lasse, werde in Zukunft nicht mehr ernst genommen.

Noch schlimmer traf es Jung in der jüngsten Generals-Affäre. Betroffen waren der Inspekteur der für Logistik und Ausbildung zuständigen Streitkräftebasis, Hans-Heinrich Dieter, und der stellvertretende Heeresinspekteur Jürgen Ruwe. Beiden wurde - jedenfalls nach Einschätzung der meisten Beobachter - eine Kleinigkeit vorgeworfen. Dieter, Inspekteur für die Bundeswehr-Hochschulen, gab Ruwe einen Vermerk über dessen an der Bundeswehr-Universität Hamburg studierenden Sohn. Dem Sohn werden rechtsextremistische Äußerungen vorgeworfen, was aber strittig ist. Wer weiß, wie ernst die Bundeswehr sonst solche Fälle nimmt, wundert sich sofort darüber, warum ausgerechnet die Ermittlungen gegen den Sohn eines Generals nach acht Monaten immer noch nicht abgeschlossen sind. Und wer die Disziplinarpraxis kennt, wundert sich noch mehr, daß Jung zwei Generäle wegen der Weitergabe von Ermittlungsakten feuert. Die Versetzung in den Ruhestand steht in keinem Verhältnis zur vorgeworfenen Dienstpflichtverletzung. Es ging natürlich um mehr, und da muß Jung falsch spielenden Einflüsterern erlegen sein.

Kenner der Szene verweisen auf den mächtigsten Mann der Bundeswehr, Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan. Der hatte und hat auch einen guten Draht zu Jungs Vorgänger Peter Struck, der heute Fraktionsvorsitzender der SPD ist. Schaden kann so was nicht. Schneiderhan will die ohnehin schon unter Reformen und Reduzierungen leidende Truppe weiter umbauen. Dem Minister soll Schneiderhan die geplanten Änderungen als Bürokratieabbau verkauft haben. Der im Truppenalltag unerfahrene Jung glaubte die Geschichte. Im Kern geht es aber um etwas anderes: Schneiderhan plant die Erweiterung der eigenen Befugnisse, will die Führungsstäbe von Heer, Luftwaffe und Marine überflüssig machen.

Geführt werden soll in Zukunft nur noch von einem Schneiderhan direkt unterstellten Stab, was Kritiker als Auflösung der Teilstreitkräfte ansehen. Mehr noch: Schneiderhan ist Anhänger der sogenannten "Joint"-Gedankens, wonach jeder alles kann. Danach müssen Luftwaffen-Soldaten in Kabul Streife laufen und Heeresoffiziere vielleicht aufs Schiff. Daß das nicht gutgehen wird, wird man spätestens dann erleben, wenn die ersten Patrouillen im Einsatz ums Leben kommen und die erste Fregatte sinkt ...

Ruwe und Dieter standen diesen Zentralisierungs- und Joint-Experimenten, die von anderen Streitkräften (etwa Kanada) längst wieder aufgegeben wurden, im Wege. Der Vorfall um Ruwes Sohn war offenbar ein willkommener Anlaß, eine Affäre auszulösen. Aus dem Ministerium ging die Geschichte an die Presse und wurde damit zum Politikum. Jung war zu diesem Zeitpunkt bereits so geimpft worden, daß er die Generäle feuern wollte.

Während Dieter schwieg, hatte der CDU-Politiker Ruwes Reaktion falsch eingeschätzt. Der General hatte in einem Gespräch mit dem Staatssekretär Peter Wichert gedroht, er werde an die Öffentlichkeit gehen. Außerdem verlangte er ein Gespräch mit dem Minister, worauf Jung sich jedoch nicht einließ.

Es ist schon sehr verwunderlich, daß der oberste Dienstherr einem General keinem Termin gibt, wenn dieser darum bittet. Ruwe schrieb danach an Abgeordnete des Deutschen Bundestages und nannte den ganzen Vorgang einen "Skandal". Ruwe weiter: "Alle Grundsätze der Inneren Führung wurden von der Spitze unseres Hauses, der politischen Leitung und militärischen Führung, mit Füßen getreten." In einem Brief an Jung beschwerte er sich über Sippenhaftung und das Spießrutenlaufen, dem seine Familie ausgesetzt sei. Nach seiner und Dieters Entlassung (die ohne Angabe von Gründen stattfand) legte Ruwe nach. In Interviews sagte er, er sei das Opfer einer Intrige, und verlangte eine Aufklärung des Falles.

Mit dem Vorwurf der Intrige liegt Ruwe gar nicht so falsch. Jung, der instrumentalisiert wurde, ist genauso Opfer geworden. Er weiß es nur nicht.

General Dieter (Foto), General Ruwe (Foto), CDU-Verteidigungsminister Franz Josef Jung: Die Bundeswehr-Führung stellt sich auf das Schlimmste ein


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen