© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/06 03. Februar 2006

Langfristige Präsenz nötig
Kosovo: Nach dem Tod von Präsident Ibrahim Rugova wird es noch schwieriger, einen Kompromiß zu finden
Goran Rafajlovski

Ibrahim Rugova, der Kämpfer für Unabhängigkeit und erste Präsident des Kosovo, ist am 21. Januar im Alter von nur 61 Jahren gestorben. Hunderttausende Kosovo-Albaner folgten fünf Tage später seinem Sarg durch die Straßen der Hauptstadt Pristina zum Märtyrer-Friedhof. Auch zahlreiche ausländische Politiker waren angereist. Die Kosovo-Albaner haben mit ihm eine wichtige und einende Symbolfigur verloren. Die sogenannte Internationale Gemeinschaft (Uno, EU, OSZE) hat mit dem "Ghandi des Balkans" die geeignetste politische Figur für Statusverhandlungen zwischen Belgrad und Pristina verloren, die Serben einen Kompromißpolitiker, mit dem sie die Kosovo-Frage vielleicht hätten lösen können.

Der Philosoph und frühere Präsident des Schriftstellerverbands, der 1989 Gründer der Demokratischen Liga des Kosovo (LDK) war und von vielen Kosovaren als "Vater der Nation" betrachtet wurde, hinterläßt ein politisches Vakuum. Auf die Frage, wer könnte Rugova nachfolgen, gibt es keine passende Antwort. Denn Rugova war nicht nur Präsident des Kosovo, sondern auch Chef der Verhandlungsdelegation.

Ein wahrscheinliches Szenario ist, daß Hashim Thaci, Chef der oppositionellen Demokratischen Partei des Kosovo (PDK) und einst Kämpfer der UÇK (Befreiungsarmee des Kosovo), die Position des Verhandlungsführers übernehmen wird und Parlaments- und Interimspräsident Nexhat Daci (LDK) Präsident des Kosovo wird. Aber noch wichtiger als Personalentscheidungen ist die Frage, wie geht es weiter mit den Status-Verhandlungen, denn das Kosovo (deutsch: Amselfeld) ist seit Juni 1999 ein Uno-Protektorat - und das soll kein Dauerzustand bleiben. Nominell ist das Kosovo zwar noch eine Provinz von Serbien, doch die Ordnungsmacht wird seither von der durch ein UN-Mandat legitimierten Kfor-Friedenstruppe unter Führung der Nato ausgeübt.

Die Uno-Mission Unmik kümmert sich um Polizei, Justiz und Selbstverwaltung (von der Uno direkt betrieben), Demokratisierung und Wiederaufbau der Institutionen (OSZE-Verantwortung) sowie Wiederaufbau und wirtschaftliche Entwicklung (EU-Verantwortung). Die "Institutionen der provisorischen Selbstverwaltung" (PISG) sind die Regierung und das Parlament des Kosovo. Daneben gibt es in einigen serbischen Enklaven des Kosovo von Belgrad finanzierte und kontrollierte parallele serbische Verwaltungsstrukturen, die von der Unmik toleriert werden. Von den schätzungsweise 1,9 Millionen Einwohnern des Kosovo sind derzeit etwa 90 Prozent Albaner, die anderen zehn Prozent Serben und andere Minderheiten.

Grundsätzlich gibt es drei Seiten im Verhandlungsprozeß mit mehr oder weniger unterschiedlichen Positionen. Die offizielle Position der kosovo-albanischen Verhandlungsdelegation wurde am 13. September 2005 vorgestellt. Sie fordert nach wie vor die "umgehende und bedingungslose Unabhängigkeit".

Mehr Kompromißbereitschaft zeigt der Kosovo-Parlamentarier und Publizist Veton Surroi von der kleinen Partei ORA, der eine konditionierte Unabhängigkeit als Ausgang des Verhandlungsprozeß für möglich hält. Deshalb könnte die internationale Gemeinschaft darauf drängen, Surroi als neuen Chef des kosovarischen Verhandlungsteams vorzuschlagen.

Die offizielle Position Belgrads, die im April 2004 vom serbischen Parlament gebilligt wurde, geht nach wie vor von der Zugehörigkeit des Kosovo zu Serbien aus. Das heißt, daß dem Kosovo zwar die exekutive, legislative und judikative Gewalt vollständig übertragen werden sollte. Steuer-, Zoll- und Außenpolitik sollten aber weiter in der Hand der serbischen Zentralregierung bleiben - nach dem Motto: "Mehr als Autonomie, weniger als Unabhängigkeit".

Die Position der internationalen Gemeinschaft kann man grob so zusammenfassen: Keine Verhandlungen über eine Rückkehr zum Status des Kosovo von dem März 1999. Keine Verhandlungen über eine "umgehende und bedingungslose Unabhängigkeit" des Kosovo. Keine Teilung des Kosovo. Kein Zusammenschluß des Kosovo mit Albanien oder mit einem anderen Staat.

Wichtig für die zukünftigen Stabilität auf dem Balkan ist, daß die internationale Gemeinschaft eine für beide Konfliktparteien einigermaßen akzeptable Lösung findet, die sich zwischen den Formeln "mehr als Autonomie, weniger als Unabhängigkeit" und "bedingungslose Unabhängigkeit" bewegen muß.

Mit ihrer ständigen Präsenz, mit einer glaubwürdigen EU-Beitrittsperspektive und einer pull-push-Politik (die als "Zuckerbrot und Peitsche"-Politik auf dem westlichen Balkan gute Ergebnisse erreicht hat) muß die internationale Gemeinschaft aber weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Nur so können nachhaltige Stabilität und Sicherheit sowie eine langfristige Verbesserung der wirtschaftlichen Entwicklung und sozialen Lebensbedingungen in der ganzen Region erreicht werden.

 

Dr. Goran Rafajlovski war bis 2005 Botschafter der Republik Mazedonien in Berlin.


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