© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/06 10. Februar 2006

Etappensieg oder Sackgasse
Geschichtspolitik I: Das Ringen um das Zentrum gegen Vertreibungen bleibt ein Geduldsspiel / Ausstellung "Erzwungene Wege"
Marcus Schmidt

Die Begeisterung hielt sich in Grenzen, als Erika Steinbach im vergangenen August ihren Plan öffentlich machte, als Vorstufe zum geplanten Zentrum gegen Vertreibungen in einer Berliner Kirchenruine eine Dauerausstellung zum Thema einzurichten. Nicht wenige hatten sich etwas anderes unter der von der BdV-Präsidentin zuvor angekündigten "wunderbaren Liegenschaft" in der Mitte Berlins vorgestellt als eine halbverfallene Ruine, die zwar noch formal im Bezirk Mitte, aber tatsächlich abseits aller Touristenströme liegt.

Ganz anders fielen die Reaktionen aus, als Steinbach in der vergangenen Woche überraschend das Konzept für eine Bilderschau zum Thema Vertreibungen im Kronprinzenpalais vorstellte. Unter den Linden 3: Eine Adresse ganz nach dem Geschmack all jener, die dem Gedenken an die Vertreibung von 15 Millionen Deutsche einen Platz in der Mitte der Hauptstadt einräumen möchten. Zähneknirschend nahmen dagegen die lautstarken Zentrumsgegner zur Kenntnis, daß es Steinbach nach der blamablen Abfuhr für ihr Kirchen-Projekt durch den Berliner Kardinal Georg Sterzinsky doch noch gelungen war, einen repräsentativen Ort für ihr Vorhaben zu finden.

Da die jetzt vorgestellte Ausstellung bei Befürwortern und Gegnern als erster Schritt hin zur Verwirklichung der seit Jahren um- und bekämpften Idee eines Zentrums gegen Vertreibungen gilt, ist es kein Wunder, daß die Konzeption der Ausstellung mit dem Titel "Erzwungene Wege" ganz genau unter die Lupe genommen wird.

Denn schon macht sich bei manchen die Hoffnung (und bei anderen die Befürchtung) breit, mit dem Kronprinzenpalais könnten die Vertriebenen das lange vergeblich gesuchte Gebäude für ihr Zentrum in der Mitte Berlins gefunden haben. Vielleicht, so die Hoffnung, kann die Ausstellung ja über die geplanten drei Monate hinaus verlängert werden - vielleicht sogar für immer.

Ein typisch deutscher Kompromiß bahnt sich an

Doch ein Blick auf das Konzept der Ausstellung zeigt, daß es sich hierbei mitnichten um ein Zentrum gegen Vertreibungen im Miniaturformat handelt, wie es sich viele Vertriebene erhoffen. In der Ausstellung sollen nach Auskunft von Steinbach auf einer Fläche von 600 Quadratmetern die aktuellsten Ergebnisse der internationalen Forschung zum Thema "Zwangsmigration und Genozid" gezeigt werden. Anhand von dreizehn europäischen Beispielen sollen Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede bei Ursache, Wirkung und Folge von Flucht und Vertreibung dokumentiert werden, verspricht Steinbach. "Dabei wollen wir keine Gewichtung der Leiden jedes einzelnen Betroffenen vornehmen", macht die BdV-Präsidentin unmißverständlich deutlich

Im einzelnen sollen neben der Vertreibung der Deutschen unter anderem auch der Völkermord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg, die Vertreibung der Juden Europas als "Baustein des Holocaust", die Umsiedlung der West-Karelier und die "ethnischen Säuberungen" im ehemaligen Jugoslawien dokumentiert werden.

Anhand dieser Aufzählung wird deutlich, daß die Ausstellung ganz bewußt den Schwerpunkt auf die europäische Dimension der Vertreibungen im vergangenen Jahrhundert legt und nicht die besondere Bedeutung des Themas für Deutschland herausstellt. Darin unterscheidet sie sich von der Konzeption des geplanten Zentrums gegen Vertreibungen, das ja gerade auch eine nationale Gedenkstätte für die Vertriebenen Deutschen sein soll - und daher vor allem in Polen und Tschechien angefeindet wird.

Aber vielleicht bahnt sich hier bereits ein typisch deutscher Kompromiß an: Die europäisch dimensionierte Ausstellung im Palais der preußischen Kronprinzen bleibt und wird zum Zentrum gegen Vertreibungen umgewidmet - während der nationale Gedenkort unter den Tisch fällt.

Kronprinzenpalais Unter den Linden: Ausstellung auf Zeit foto: Picture-alliance / KPA


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