© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/06 10. Februar 2006

Alles, was von uns übrigbleibt
Anachronistischer Ruhepunkt: Volker Koepps "Schattenland - Reise nach Masuren"
Martin Lichtmesz

Nach "Pommerland" (JF 41/05) ist nun ein weiterer Film des unermüdlichen Volker Koepp in einigen deutschen Kinos zu sehen. Mit "Schattenland - Reise nach Masuren" begibt sich der gebürtige Stettiner zusammen mit seinem kongenialen Kameramann Thomas Plenert nach "Kalte Heimat" (1995) und "Kuhrische Nehrung" (2001) bereits ein drittes Mal nach Ostpreußen, diesmal in den heute polnischen Süden.

Wie alle Filme Koepps ist auch seine jüngste Arbeit eine unprätentiöse Entdeckungsreise. Unvoreingenommen versucht er zu zeigen, was ist, ohne daß eine Sache wichtiger wäre als die andere. Der spärliche Kommentar gibt dabei nur die nötigsten Informationen. Elegische Panoramaschwenks und Kamerafahrten entlang melancholischer Alleen wechseln ab mit behutsamen Befragungen.

Dabei bevorzugt der seit den 1960er Jahren im DEFA-Dokumentarfilm tätige Koepp einfache, aber charakterstarke Menschen, die er oft geduldig bei der alltäglichen Arbeit zeigt. Seine osteuropäischen Schauplätze erscheinen wie exotische Reservate, in denen sich atemberaubende, menschenleere Landschaften ebenso wie karge, archaische Lebensformen fernab der Hektik und Bequemlichkeit des Westens erhalten haben. Die Geschichte ist dabei ständig präsent, als gerade noch wahrgenommene Erinnerung, gleich einem verwitterten Grabstein.

So beginnt "Schattenland" mit einem alten, zahnlosen Polen, der durch die Ruinen eines einst vom Deutschen Orden errichteten Ritterguts führt, das bis 1945 der Familie Finkenstein gehört hat. Am Ende seiner Führung gelangt er zu einer inmitten der Trümmer stehenden Holzhütte: "Und hier lebe ich!"

In einer anderen Szene erzählt eine Gruppe polnischer Kinder eifrig, was sie alles über das verlassene Gut der Familie von Fahrenheit wissen. Verfallene Häuser, die von den dichten Wäldern verschluckt werden, einstürzende Mausoleen, Soldatengräber aus beiden Kriegen, kaum mehr leserliche deutsche Inschriften tauchen immer wieder auf. Eine allgemeine Verödung greift um sich. Ein Dorf an der russischen Grenze etwa scheint nur mehr von Störchen bewohnt zu sein.

Ungerührt von der imposanten Landschaft arbeiten Bauern und Fischer hart, um aus ihr das Lebensnotwendige herauszuschinden. Mehrfach wird erwähnt, daß jene am besten leben, die sich ihr Brot auf kriminellem Wege zu beschaffen wissen. Das System sei schlecht, im Kommunismus sei es besser gewesen. Nun muß sich jeder um sich selbst kümmern, viele gehen nach Italien oder Deutschland auf Arbeitssuche. Ein Bauer ukrainischer Abstammung - seine Eltern wurden im Laufe der "Aktion Weichsel" 1947 aus Südostpolen in Masuren angesiedelt, "wie in Jugoslawien" - möchte seinen Besitz am liebsten auf der Stelle verkaufen und in die Ukraine gehen. Eine Gruppe Fischer, die Koepp beim Fang auf einem zugefrorenen See begleitet, empfindet die Lage als ähnlich trostlos.

Das touristische Kapital der Masuren zeitigt jedoch auch eine gegenläufige Bewegung. Ein Paar mittleren Alters hat seine Stadtwohnung verkauft und hier bereits fünf Holzhäuser gebaut, die es für den Tourismus nutzen will. Eine ähnliche Verortung haben ein junger Architekt und seine litauische Freundin vollzogen, die sich aus dem Trubel der Großstadt und der "Kommerzialisierung" zeitweilig in ein idyllisches Waldhäuschen am "Ende der Welt" zurückziehen. Dort haben sie eine geradezu antäische Verwandlung durchgemacht: Das erklärte Ziel des jungen Mannes in seiner architektonischen Arbeit ist, den "Kontakt zur Natur" zu erhalten, seine Freundin zitiert zustimmend ihre Großmutter: "Ein Mensch ohne Scholle ist kein Mensch."

So scheint der Bann des masurischen Sagengeistes "Smerentyk", der eine unsterbliche Liebe zur Landschaft erweckt, eine assimilierende Kraft zu besitzen: Eine in Brandenburg geborene, seit 1965 in Polen lebende ehemalige dpa-Korrespondentin spricht von der ungebrochenen Kraft des genius loci, Menschen unterschiedlicher Herkunft, seien es Polen, Ukrainer, Deutsche in "Masuren" zu verwandeln.

Der Film endet mit einem melancholischen Monolog des ukrainischstämmigen Bauern. Er hebt einen Klumpen Erde auf, erklärt eindringlich, daß dieser ihn ernähre, sein Brot sei, und schließlich "alles, was von uns übrigbleibt".

Die Menschen in Koepps Filmen sind niemals bloße Lieferanten von Informationen, sie sind sein Hauptinteresse. Geschichte und Gegenwart werden durch sie lebendig und anschaulich. Wie seine Landschaften und Protagonisten wirken seine Filme wie anachronistische Ruhepunkte, und ihre passive Unaufgeregtheit ist in den Zeiten von Michael Moore beinahe eine Provokation. Glücklicherweise sichert ein kleines, aber treues Publikum dem Regisseur eine Nischenexistenz innerhalb der Reizüberflutung der durchschnittlichen Kinoproduktion. Es bleibt zu hoffen, daß Koepp seine osteuropäischen Erkundungen fortsetzt.

Die Menschen in Koepps Filmen sind sein Haupt-interesse. Geschichte und Gegenwart werden durch sie lebendig und anschaulich.

Menschen in Masuren: Archaische Lebensformen fernab von Hektik und Bequemlichkeit des Westens Foto: salzgeber & Co.


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