© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/06 17. Februar 2006

Ein Mann des Dialogs
Bosnien-Herzegowina: Christian Schwarz-Schilling muß dem Land dringend neue Impulse geben
Wulf Brocke

Am 14. Dezember 2005 jährte sich der 10. Jahrestag der Unterzeichnung des Abkommens von Dayton, das den dreijährigen Bosnien-Krieg beendete, aber das höchst komplizierte Staatsgebilde "Bosnien-Herzegowina" schuf, wahrscheinlich das komplizierteste der Neuzeit. Auf einem Gebiet von kaum mehr als der Größe Niedersachsens wurde ein Staat geschaffen, in dem ein serbischer Staat, die Republik Srpska, und ein Drei-Völker-Staat Bosnien-Herzegowina mit 10 Kantonen und dem Sondergebiet Brcka zwischen dem westlichen und östlichen Teil der Republik Srpska eine Einheit bilden sollten. Sollten! Doch noch ist nicht viel geschehen.

Seit dem 1. Februar ist nun der langjährige CDU-Bundesminister Christian Schwarz-Schilling der neue Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft und Spezial-Repräsentant der EU in Bosnien-Herzegowina. Ein Mann mit Befugnis, der Gesetze erlassen, aber auch Beamte entlassen kann. Er könnte also viel verändern, wenn er wollte. Sein Plus: Er kennt das Land wie kein anderer ausländischer Politiker seit 1992. Er ist Deutscher und damit unverdächtig, neuzeitliche Kolonialinteressen zu verfolgen. Als vorheriger internationaler Streitschlichter in dem geteilten südosteuropäischen Versuchsstaat genießt er hohe Akzeptanz bei allen ethnischen Bevölkerungsgruppen.

Bosnien-Herzegowina wird künstlich am Leben gehalten

In einer Verlautbarung seines Büros in Sarajewo, der Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina, äußerte er zum Amtsantritt, er wolle das Amt "als Dialog" wahrnehmen. In einem Interview mit der englischen BBC sagte er, seine Priorität sei der Aufbau einer funktionierenden Wirtschaft. Ob damit die entscheidenden Punkte für die wahrscheinlich letzte politische Aufgabe des 75jährigen genannt sind, ist fraglich. Denn die Ankurbelung der Wirtschaft ist in dem Land mit seinen 4,3 Millionen Einwohnern zwar dringend notwendig, aber abhängig von einer nicht gegebenen Rechtssicherheit und der Überwindung einer - je nach Landesteil unterschiedlichen - völlig zersplitterten Gesetzeslage. Auch macht das schlechte Bild Bosnien-Herzegowinas als überaus instabiler Staat die Region zwischen Serbien-Montenegro und Kroatien bis heute wenig attraktiv für ausländische Investoren. In Bosnien funktioniert der politische Dialog nur, wenn ihm eine Strategie zugrunde liegt, die ein festes Ziel hat. Denn Unterredungen, Konferenzen, Seminare, Einsätze ausländischer Experten hat es schon viele gegeben. Doch jetzt werden Ergebnisse erwartet. Notwendig sind auch klare Strategien und Bestimmtheit gegenüber den führenden politischen Kräften in Bosnien-Herzegowina, den ethnisch und religiös geprägten Parteien.

Gerade an einer zielstrebigen und einheitlichen Strategie der im Lande agierenden ausländischen Kräfte mangelt es jedoch. Im Rahmen des "Stabilitätspaktes für Südosteuropa", dessen österreichischer Koordinator Erhard Busek nur eine moderierende Funktion hat und in dem jedes Land über die Verwendung seiner Gebermittel selbst entscheidet, ist es bisher nicht zu einer einheitlichen Vorgehensweise gekommen. Doch gerade eine solche Strategie müßte mit Nachdruck auf eine neue Verfassung abzielen, müßte die innere Teilung des Landes überwinden, den Übergang der führenden ethnisch geprägten Parteien zu Parteien für mehrere Ethnien betreiben und vor allem den interreligiösen Dialog zu einer Hauptaufgabe erklären. Denn daß die verschiedenen Völker und Religionen in Bosnien-Herzegowina friedlich zusammenleben können, haben sie jahrhundertelang gezeigt und ist in anderen Regionen des Balkans keineswegs eine Ausnahme.

Das Problem liegt in der Politik die Protagonisten, die ihre ethnischen Parteien und Religionsgemeinschaften durch Konfliktbereitschaft zusammenhalten. Sowohl die Serbische Orthodoxe Kirche als auch die muslimische Glaubensgemeinschaft mischen sich traditionell in die Politik ein. Aus diesem Grunde wäre die Förderung einer jungen politischen und religiösen Elite, die aus den vergangenheitsbezogenen Denkmustern ausbrechen könnte, dringend vonnöten.

Doch bis heute ist nicht viel geschehen, und so wird Bosnien-Herzegowina eher künstlich am Leben gehalten, ist aber mit dieser völlig zersplitterten politischen Struktur nicht überlebensfähig. Hinzu kommt, daß die jüngste Vergangenheit bis dato nicht im Sinne einer Wahrheitsfindung aufgearbeitet wurde. Mit der Auslieferung der noch flüchtigen Anführer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic und Ratko Mladic, die man längst hätte fassen können, ist es dabei keineswegs getan. Entscheidend ist, daß alle drei Volks- und Religionsgruppen in Bosnien-Herzegowina sich ihrer Verantwortung für den Krieg stellen, der mehr als 100.000 Menschen das Leben kostete.

Wichtig wäre zudem, daß zumindest große Teile der Flüchtlinge, die innerhalb Bosnien-Herzegowinas vor Massakern, Vergewaltigungen und Repressalien fliehen mußten, in ihre Heimat zurückkehren können. Denn wenn Bosnien-Herzegowina dauerhaft bestehen soll, braucht es ein in der Bevölkerung verankertes gemeinsames Staatsbewußtsein mit einem ehrlichen Geschichtsbild, religiöser Toleranz und Aussöhnung seiner Volksgruppen. An diesen Punkten haben die internationalen staatlichen und Nichtregierungs-Organisationen in den letzten Jahren viel zuwenig gearbeitet. Vielmehr wurde ein Flickenteppich von einzelnen Hilfsmaßnahmen ohne gegenseitige Koordinierung ausgebreitet, deren Inhalte oft auf individuellen Vorstellungen ihrer Initiatoren und Leiter beruhten.

Hier liegt Schwarz-Schillings Aufgabe. Schafft er es, die Internationale Gemeinschaft von ihrer Strategie abzubringen, keine überzeugende Strategie für die Grundprobleme zu haben? Oder verwaltet er die Probleme allein mit neuen Milliardenkosten? Dann wird auch der neue Hohe Repräsentant Schwarz-Schilling nicht erfolgreich sein.

Wachablösung in Sarajewo: Paddy Ashdown (l.) übergibt die Verantwortung an Christian Schwarz-Schilling Foto: Picture-Alliance / dpa


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