© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/06 17. Februar 2006

Deutschpflicht für Politiker
Tag der Muttersprache: Wie die Volksvertreter die Zukunft unserer Sprache aufs Spiel setzen
Thomas Paulwitz

Während in England oder in Frankreich eine gepflegte Sprache zu den unbedingten Voraussetzungen für eine Politkarriere gehört, scheint dies hierzulande nicht der Fall zu sein: "Ich gehe ausdrücklich davon aus, daß es vielleicht Sinn macht, einem entschiedenen Ja oder Nein eine klare Absage zu erteilen", könnte "in aller Deutlichkeit" ein typischer deutscher Politikersatz der Gegenwart lauten. Als Loriot seinerzeit die berühmte Bundestagsrede des Parteilosen Werner Bornheim veröffentlichte und damit die Politikerphrasen aufs Korn nahm, konnte man darüber noch lachen. Heute kann eine Satire die Wirklichkeit kaum noch überzeichnen.

Die Bundestagsabgeordneten vergraulen sich mit langweiligen Reden gegenseitig aus dem Sitzungssaal und machen aus der Voll- eine Leerversammlung, in der ein paar versprengte Parlamentarier mit den leeren Stuhlreihen um die Wette gähnen.

Derweil haben sich einige Politiker in Quasselrunden, "Talkshows" genannt, ein Ersatzparlament geschaffen, in dem es nicht um das gewissenhafte Erörtern der Schwierigkeiten unseres Landes geht. Vielmehr hat dieses Gequassel den Zweck, andere Bewerber um die öffentliche Gunst mit platten und vorgestanzten Stellungnahmen mundtot zu machen, ohne dabei ernsthaft auf fremde Gedanken einzugehen. Mancher Fernsehzuschauer hat durch die Berieselung mit dem belanglosen Geschwätz schon mehrere Packungen Schlaftabletten eingespart.

Der lieblose Umgang mit der Muttersprache ist zunächst erstaunlich, "denn die heutige Politik wird nun einmal in hervorragendem Maße in der Öffentlichkeit mit den Mitteln des gesprochenen oder geschriebenen Wortes geführt", wie Max Weber in seinem Buch "Politik als Beruf" richtig feststellte. "Es trägt Verstand und rechter Sinn mit wenig Kunst sich selber vor", ließ Goethe seinen Faust eine Grundregel der Redekunst aussprechen. Das Ziel "mit wenig Kunst" haben die meisten Politiker zumindest schon erreicht ...

An der Grundlage sollte es jedoch nicht fehlen, "denn eine Rede muß aus der Kenntnis der Materie erwachsen und hervorströmen: Wenn nicht ein sachliches Fundament da ist, das der Redner gründlich beherrscht, so bringt er einen leeren und beinahe kindischen Wortschwall hervor", mahnte Marcus Tullius Cicero in "De oratore". Eine unklare Sprache läßt also auf unklare Gedanken schließen. Die drei Grundregeln für eine gute Rede (docere, delectare, movere - belehren, erfreuen, anrühren) scheinen in Vergessenheit geraten zu sein. Textbausteine, je nach Anlaß beliebig zusammensetzbar, sind statt dessen gang und gäbe.

Geistreiche, anregende und mitreißende Politikerergüsse bleiben hingegen eine Seltenheit. Kein Wunder, daß viele Politiker sich nicht verstanden fühlen und über "Kommunikationsprobleme" klagen. Das schlechte Abschneiden der CDU bei der vergangenen Bundestagswahl wurde folglich in erster Linie als "Kommunikationspanne" abgehakt. Das Anliegen der Union sei nicht genügend "kommuniziert" worden, hieß es, ganz im Sinne von Antoine de Saint-Exupérys Ausspruch "Die Sprache ist die Quelle aller Mißverständnisse".

Die vielbeklagte Politikverdrossenheit ist sicherlich eine Folge des mangelhaften Umgangs der Volksvertreter mit der Sprache. Mit dem Mangel an klaren und ideenreichen Entwürfen hat auch die Sprache der Politik an Ausdrucksfähigkeit und Überzeugungskraft verloren.

Was versprechen sich auch Politiker davon, wenn sie Plakate aufhängen lassen, auf denen steht: "Go Vote! The Liberal Party in der Conditorei. Meet the Candidates: Alle Stuttgarter FDP Kandidaten stellen sich live vor Ort Ihren Fragen. Date: Sonntag, 5. Februar. Live Act: PAULA P'CAY. FDP. Die Liberalen. Ihre Zukunft. Ihre Wahl." Nahezu jedes Wort ist wie ein Stromschlag für Sprachschützer, die vor die Wahl einer solchen Zukunft gestellt werden. Tatsächlich: Dieses Plakat ist keine Erfindung, sondern Bestandteil des laufenden Landtagswahlkampfs in Baden-Württemberg; eine Mischung aus krampfhafter Anbiederei und dummer Zeitgeistgläubigkeit.

Ist das Sprachgebaren der Politiker jedoch tatsächlich lediglich auf Unvermögen zurückzuführen, oder wird nicht auch zuweilen mit voller Absicht die Sprache vernebelt? Mit nichtssagenden Worterfindungen wie "Hartz IV" oder "Agenda 2010" soll einerseits Modernität vorgegaukelt werden, andererseits Unbequemes verschleiert werden. Welcher Politiker spricht schon gerne aus, daß er das Arbeitslosengeld oder die Rente kürzen will? Es soll nach eifrigem Bemühen mit völlig neuen Ideen klingen: Doch "Job-Floater", ein "Job-Aktiv-Gesetz" oder "Ein-Euro-Jobs" haben genausowenig die Arbeitslosigkeit verringert wie die Umbenennung des Arbeitsamtes in Arbeitsagentur.

Eine weitere Form der gezielten Sprachverwirrung ist die political correctness, also das Verbot, bestimmte Worte oder Wörter auszusprechen. Durch die Ächtung bestimmter Begriffe wird auch die Diskussion über die Inhalte erschwert, weil es keine klaren Bezeichnungen mehr gibt. So können "Afrodeutsche" nicht nur Neger sein, Menschen "mit Migrationshintergrund" - welch umständliche Umschreibung - nicht nur Einwanderer. Wer "anders befähigt" ist, muß nicht gleich behindert sein. Kein Wunder, daß so häufig aneinander vorbeigeredet wird. Man fühlt sich an Peter Bichsels Erzählung "Ein Tisch ist ein Tisch" erinnert, in der ein alter Mann alle Wörter miteinander vertauscht und traurig endet: "Er schwieg, sprach nur noch mit sich selbst, grüßte nicht einmal mehr."

Von der Mißachtung der eigenen Sprache ist es nur noch ein kleiner Schritt, Deutsch auf den Rang eines Feierabenddialekts herabzustufen: "Deutsch bleibt die Sprache der Familie, der Freizeit, die Sprache, in der man Privates liest, aber - Englisch wird die Arbeitssprache", meint der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger, der für diese Aussage mit Protestbriefen überschüttet wurde.

Der von der Unesco ins Leben gerufene Internationale Tag der Muttersprache am 21. Februar ist ein geeigneter Anlaß, die Politiker an ihre Verantwortung für die Sprache zu erinnern. Mit ihrer Sprachtreue beeinflussen sie die Zukunft unserer Sprache. Verantwortungsvolle Politiker müssen sich dafür einsetzen, daß die Sprache als Verständigungsmittel zwischen den Bürgern des Landes gefördert wird. Mögen die Politiker bei sich selbst anfangen, und wenn es nicht anders geht, dann muß eine Deutschpflicht für Volksvertreter her. 

 

Thomas Paulwitz ist Schriftleiter der vierteljährlich erscheinenden "Deutschen Sprachwelt", Postfach 1449, 91004 Erlangen


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