© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/06 24. Februar 2006

Terroristische Maßnahmen
China II: Menschenrechtslage ist weiterhin katastrophal / Nur leise Regime-Kritik, um Wirtschaftsinteressen nicht zu gefährden
Harald Fourier

Cai Lujun und Luo Changfu wähnten sich sicher in der Anonymität des Internets. Sie wußten zwar, daß sie vorsichtig sein müssen. Daß aber ausgerechnet US-Firmen wie Microsoft der rotchinesischen Führung helfen würden, mißliebige Journalisten auszumachen, damit haben sie nicht gerechnet.

Lujun hat Aufsätze über Reformen verfaßt und im Internet verbreitet. Seine Strafe: drei Jahre Gefängnis. Changfu dagegen hat sich konkret mit der Zensur des Internets durch die Mächtigen in Peking beschäftigt (unter anderem durch den US-Weltmarktführer unter den Suchmaschinen, Google). Auch sein Urteil: drei Jahre Knast.

Kommunistische Diktatur ohne Pressefreiheit

Shi Tao kam nicht so "glimpflich" davon. Letztes Jahr stand der Träger eines internationalen Preises für Meinungsfreiheit vor Gericht. Ihm wurde vorgeworfen, "Staatsgeheimnisse" verraten zu haben. Er hatte aber nur Anweisungen des staatlichen Propagandaapparats an die Medien per ePost weitergeleitet - und wurde dafür mit zehn Jahren Gefängnis bestraft.

Drei Fälle, die zeigen, daß sich diese zwei Dinge auch im neuen China ausschließen: kommunistische Diktatur und Pressefreiheit. Aus Anlaß des China-Besuchs von Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat sich die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) mit drastischen Beispielen und einem Appell an den SPD-Politiker an die Öffentlichkeit gewandt. "Wir hoffen, daß er in einer neuen Qualität deutlich macht, wie wichtig die Menschenrechtslage in China ist", betont IGFM-Chef Martin Lessenthin auf einer Pressekonferenz letzten Freitag in Berlin. In China sind wegen der Verfolgung und Folter von Christen und Falun-Gong-Anhängern in der ersten Februarwoche Dissidenten in den Hungerstreik getreten. Längst haben sich weltweit KP-Gegner angeschlossen. Sie wollen auch ein Zeichen setzen gegen fehlende Freiheiten, Korruption und Verbrechen in China, sagte Lessenthin.

Die erklärten Gegner der kommunistischen Führungsriege des größten Volkes der Erde gaben sich kämpferisch. So führt der Chef der Föderation für ein demokratisches China, Fei Laingyong, aus: "Wir wollen die chinesische Führung zur Verbesserung der Menschenrechtslage zwingen." Dem Regime fehle jede Legitimität, wenn Menschen sich nur noch durch einen Hungerstreik wehren könnten. Er verglich die KPCh mit der Mafia, der er attestierte, sie führe einen letzten Verzweiflungskampf und sei daher gezwungen, zu "terroristischen Maßnahmen" zu greifen.

Die Chancen auf eine schnelle Durchsetzung ihrer Ziele schätzen die Menschenrechtsaktivisten jedoch eher gering ein. Wenigstens erhoffen sie sich von der neuen Bundesregierung unter Angela Merkel (CDU) mehr als vom Vorgänger-Kabinett. Die Wut über Gerhard Schröders ignorante Haltung in Sachen Menschenrechte ist bei allen Beteiligten zu spüren. Unter dem SPD-Kanzler habe Deutschland eine "böse Rolle" gespielt, sagt einer.

Tilman Zülch, der Generalsekretär der Gesellschaft für bedrohte Völker, findet die drastischsten Worte, mit denen er die deutsche Öffentlichkeit wachrütteln will: "Die Rotchinesen sind Weltmeister im Massenmord - vor Stalin und Hitler. Das Pekinger Regime muß weg", forderte er - ebenso wie eine längerfristige Strategie des Westens. Wie die aussehen könnte, ist fraglich - insbesondere, solange die USA, die mit den Chinesen florierenden Handel treiben und auf ihre Unterstützung gegenüber Nordkorea angewiesen sind, den Konflikt scheuen.

US-Firmen kooperieren mit Kommunisten

Es hat erheblicher Proteste bedurft, bis der Internet-Skandal den sonst weltweit Menschenrechtsverstöße ahndenden US-Kongreß erreicht hat. Letzte Woche tagte der Menschenrechtsausschuß unter dem Tagesordnungspunkt "China und das Internet". Die Parlamentarier hatten Vertreter von Yahoo, Google, Microsoft und Cisco Systems vorgeladen. Allen vier Firmen wird vorgeworfen, die Einschränkungen der Meinungsfreiheit (etwa durch Identifikation von ePost-Adressen) gefördert und unterstützt zu haben.

Zülch warnte vor zu großen Hoffnungen wegen der Steinmeier-Visite: "Angesichts dessen, daß unser Außenminister mit einer großen Wirtschaftsdelegation dorthin fährt, darf man sich keine allzu großen Illusionen machen."

Höchstens auf internationalem Parkett könnte es gelingen, die Chinesen zu Zugeständnissen zu bringen. Sie legen nämlich seit einigen Jahren großen Wert auf ihr Renommee.

So wurde nach einem Festbankett im letzten November für den chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao folgende Anekdote kolportiert: Als die chinesische Delegation in den Saal kam, stellte sie fest, daß dort ein Banner mit der Aufschrift "Die deutsch-chinesischen Beziehungen" hing. Nachdem sie sich dies hatten übersetzen lassen, verlangten sie die Umbenennung in "Die chinesisch-deutschen Beziehungen". Vergeblich sollen Mitarbeiter des Protokollarischen Dienstes versucht haben, die beiden Attribute auszuwechseln. Am Ende mußte jedoch ohne Banner getafelt werden.

Besonders zynisch wirkt in diesem Zusammenhang die neueste Anzeigenserie der Firma Cisco Systems: Das Unternehmen wirbt mit den Worten "poweredbycisco. gedankenfreiheit". Im Werbetext dazu heißt es: "Um auf die richtigen Gedanken zu kommen, sollten Sie einen schnellen direkten Zugriff auf alle entscheidungsrelevanten Informationen haben." Mit keiner Silbe wird erwähnte, daß dieser Zugriff auf jemandes Daten unter Umständen auch für chinesische Kommunisten gilt.


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