© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/06 24. Februar 2006

Genossen zu Mitgliedern degradiert
Wirtschaftspolitik: Das Bundesjustizministerium nutzt eine EU-Richtline zur Reform des deutschen Genossenschaftsrechts
Georg Pfeiffer

Friedrich Wilhelm Raiffeisen hatte als Bürgermeister von Weyerbusch/Westerwald miterleben müssen, wie nach einer Mißernte einst wohlhabende Bauern in die Fänge von Wucherern und ins Elend gerieten. Um Abhilfe zu schaffen, gründete er den "Brodverein" und förderte die Bildung genossenschaftlich organisierter Spar-, Darlehens- und Saatgutkassen. Etwa zur gleichen Zeit, 1849, gründete der Jurist Hermann Schulze von der Deutschen Fortschrittspartei im sächsischen Delitzsch eine Schuhmachergenossenschaft und legte so den Grundstein für die Genossenschaft als unternehmerische Rechtsform, für die Vorschuß- und Kreditvereine der Handwerker.

Speziell die Volks- und Raiffeisenbanken bilden noch immer eine Stütze der mittelständischen Wirtschaft. In der Land- und Forstwirtschaft, im Handel (Edeka, Rewe, Baywa) und im Wohnungsbau sind Genossenschaften weit verbreitet. Das geltende Genossenschaftsgesetz fußt auf einem Gesetz von 1898. Es definiert die Genossenschaft als "Gesellschaft von nicht geschlossener Mitgliederzahl, welche die Förderung des Erwerbes oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes bezweckt".

"Gemeinsam mehr erreichen" ist die Genossen-Devise

Die Genossen können unterschiedlich große Anteile oder mehrere Geschäftsanteile halten, in der Generalversammlung hat jeder in der Regel eine Stimme. Für Verbindlichkeiten der Genossenschaft haftet nur ihr Vermögen. Das Statut kann eine Nachschußpflicht vorsehen. Die Genossenschaft wählt einen Vorstand und einen Aufsichtsrat. Sie gehört einem Prüfungsverband an, der regelmäßig die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung überprüft. Es ist eine Rechtsform, die den Nutzen aller Mitglieder mehrt: "Gemeinsam mehr erreichen" ist ihre Devise.

Im Juli 2003 erließ nun der EU-Rat eine Richtlinie und eine Verordnung über das Statut der Europäischen Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea/SCE). Die SCE soll die nationale Genossenschaft weder ersetzen noch das Genossenschaftsrecht harmonisieren. Sie tritt neben die bisher vorhandene Rechtsform. Voraussetzung für eine SCE ist eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Die Wahl einer nationalen Rechtsform bleibt den Genossen unbenommen.

Eine deutsche Genossenschaft kann auch ausländische Mitglieder aufnehmen. Wenn sie in anderen Mitgliedstaaten tätig werden will, ist sie dort aber nicht ohne weiteres rechts- und geschäftsfähig - die SCE schon. Die EU-Richtlinie ist als Rahmengesetz konzipiert und regelt nur wenige Punkte. Im übrigen verweist sie das nationale Recht des Staates, in dem die SCE ihren Sitz hat. So gilt für die SCE in Deutschland in Teilen ebenfalls das Genossenschaftsgesetz.

Anders als die Genossenschaft nach deutschem Recht kann sie auf einen Aufsichtsrat verzichten. Die SCE hat ein Mindestkapital von 30.000 Euro. Geschäftsanteile sind übertragbar und die SCE kann auch "investierende Mitglieder" aufnehmen, die die Genossenschaftseinrichtungen selbst nicht nutzen.

Die EU-Richtlinie soll bis August 2006 in nationales Recht umgesetzt werden - eigentlich nichts Aufregendes. Aber Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) nahm dies zum Anlaß, auch gleich das deutsche Genossenschaftsgesetz zu überarbeiteten - ihr Ministerium legte 2005 einen Referentenentwurf vor, der im Januar vom Bundeskabinett beschlossen wurde.

Die Änderungen sollen die Genossenschaft als Rechtsform attraktiver machen und die Gründung erleichtern. So wird die Mindestzahl der Mitglieder von sieben auf drei herabgesetzt. Der Förderauftrag der Genossenschaft wird künftig um "soziale und kulturelle Belange" erweitert.

Weiterhin sollen "investierende Mitglieder" und die Übertragung von Geschäftsanteilen zugelassen werden. Die Beiträge der Genossen sollen künftig auch als Sacheinlage erbracht werden können. Die Satzung kann ein Mindestkapital bestimmen. Genossenschaften mit weniger als zwanzig Mitgliedern brauchen auch keinen Aufsichtsrat mehr. Im übrigen sollen die Informationsrechte der Genossen gegenüber dem Vorstand gestärkt werden.

Der Unternehmensberater Norbert Rückriemen, Vorstand des Prüfungsverbandes der klein- und mittelständische Genossenschaften, weist darauf hin, daß die Zulassung investierender Mitglieder nur eine bisher schon gängige Praxis in das Gesetz übernimmt. Das betraf etwa Mitglieder einer Wohnungsbaugenossenschaft, die ihren Geschäftsanteil behalten, obwohl sie keinen Wohnraum der Genossenschaft mehr nutzen. Sie wurden meist als "fördernde Mitglieder" geführt.

Die Befürchtung, daß künftig "Kapitalinteressen" die Genossenschaft dominieren könnten, hält er für unbegründet. Die Genossenschaft tauge nicht zum "Spekulationsobjekt". Eine Gefahr sieht er in der Festsetzung eines Mindestkapitals. Dies sei zwar "freiwillig". Es sei jedoch absehbar, daß Banken etwa bei Kreditverhandlungen die Festsetzung eines solchen Mindestkapitals verlangen werden, weil es gerade sie schützt.

In diesem Fall sei es problematisch, wenn Mitglieder aus der Genossenschaft austreten wollen, da durch die Auszahlung ihres Geschäftsanteils das Mindestkapital eventuell unterschritten würde. Auch die Herabsetzung der Mindestmitgliederzahl sei kritisch. Die Genossenschaft eigne sich eher für Organisationen mit deutlich mehr als sieben Mitgliedern. Die Herabsetzung erleichtere es Einzelnen, eine Scheinkulisse aufzubauen, Schindluder zu treiben und den bislang soliden Ruf der Genossenschaft als Rechtsform zu beschädigen.

Pikant ist die geplante "sprachliche Modernisierung". SPD-Genossin Zypries will die "Genossen" in "Mitglieder" umbenennen. Die Gesetzesbegründung verweist darauf, daß das "Mitglied" geschlechtsneutral sei, der "Genosse" aber nicht. Damit gibt die Ministerin einem unwesentlichen Gesichtspunkt - dem grammatikalischen Geschlecht des Wortes - den Vorzug vor dem wesentlichen, nämlich der präzisen Bezeichnung des Gegenstandes.

Auch den Begriff "Statut" hält die Ministerin für veraltet und ersetzt ihn durch "Satzung". Überlastet ist sie wohl nicht. Die "Generalversammlung" bleibt, obgleich nur ganz selten hohe Militärs daran teilnehmen. Im April soll der Entwurf in den Bundestag eingebracht werden. Vielleicht läßt sich die feministische Einebnung der Sprache in diesem Falle ja noch abwenden.

BayWa-Transporter: Die bayerische Genossenschaft ist einer der größten Baustoffhändler Europas Foto: BayWa

Zusatzinformationen gibt es im Internet unter www.neuegenossenschaften.de und www.pruefungsverband.de


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