© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/06 24. Februar 2006

BSE-Testen auf Teufel komm raus
Landwirtschaft: Trotz enormer Kosten und Wettbewerbsnachteilen setzt Deutschland die höchsten Maßstäbe innerhalb der EU
Harald Ströhlein

In Zeiten drohender Seuchenzüge durch die Vogelgrippe (Geflügelpest) und skandalöser Fleischschiebereien scheint BSE, Inbegriff für Tod und Verderben zahlloser Rinder in der modernen Welt, an Schrecken zu verlieren.

In der Tat tritt die "das Rind betreffende, schwammartige Gehirnkrankheit" (Bovine Spongiforme Enzephalopathie) in jüngster Zeit immer weniger in Erscheinung. In der EU wurden nach derzeitiger Kenntnis im letzten Jahr 455 BSE-Fälle gezählt. 2004 wurden noch exakt 865 Rinder für BSE-positiv befunden. Dieser erfreuliche Trend läßt sich - mit Ausnahme Österreichs, Luxemburgs und Polens - in den einzelnen Länderstatistiken finden: Portugal mit 34 zu 91, Frankreich mit 29 zu 54 und Irland mit 69 zu 121.

Immer weniger BSE-Fälle in der EU gezählt

Sogar auf den Britischen Inseln, wo noch vor etwa einem Jahrzehnt die verheerende Krankheit unter den Vierbeinern so wütete wie einst die Pest unter den Menschen, ist von BSE nur noch marginal die Rede: "Nur" 164 Tiere erkrankten im Jahr 2005 an Rinderwahn, 343 dagegen ein Jahr zuvor. 1992 starben über 37.000 Rinder wegen BSE (oder dem Verdacht).

Dagegen ist eine weit geringere Dramatik zu bilanzieren, erstellt man eine BSE-Historie für Deutschland. Selbst auf dem Höhepunkt in den Jahren 2001 und 2002, als man aufgrund der allgemeinen Hysterie glaubte, BSE übertrage sich leichter auf den Menschen, als uns manche Experten weismachen wollten, zählte man jeweils etwas mehr als 100; 32 waren es in letzten Jahr. Um so unverständlicher, daß Deutschland in puncto BSE-Schnelltests bis vor kurzem beharrlich die Extrawurst mit Vorbildcharakter spielte und sich - alleinig in der EU und aus freiem Willen - der Kasteiung unterwerfend noch strengere Maßstäbe setzte, als es die Legislative aus Brüssel ehemals vorgab.

Das war in den Jahren 2000 und 2001, als der Rinderwahn flächendeckend wütete und gemeinschaftsweit eine Reihe von Blitzmaßnahmen erlassen wurden. Seit dieser Zeit muß beispielsweise Risikomaterial als mutmaßliches Erregerreservoir - dazu zählen unter anderem Wirbelsäule, Rückenmark, Gehirn und Augen - vor der Weiterverarbeitung des Schlachtkörpers entfernt und verbrannt werden. Des weiteren wurde im Verfütterungsverbotsgesetz das Tiermehl als vermeintlicher Auslöser des BSE-Debakels vom Speiseplan gebannt und "die Verfütterung proteinhaltiger Erzeugnisse und Fette warmblütiger Landtiere und Fische an Lebensmittel liefernde Nutztiere" verboten.

Als drittes wesentliches und prophylaktisches Element setzte die EU auf den Einsatz eines BSE-Schnelltests, mit dessen Hilfe man innerhalb weniger Stunden über Wohl oder Wehe - oder besser: Weiterverarbeitung oder Entsorgung - eines am Haken hängenden Schlachtkörpers zu entscheiden in der Lage ist. Daß dabei nach Vorgabe der Eurokraten das Gehirngewebe von Schlachtrindern mit einem Alter über 30 Monaten zu untersuchen sei, kam nicht von ungefähr. Zum einen waren sich schon zu diesem Zeitpunkt die Gelehrten einig, daß eine Untersuchung nur von entsprechend älteren Tieren sinnvoll ist. Plausibler Grund: Nur bei solchen ist im Falle einer Erkrankung auch eine für den Test genügende Erregermenge im Gehirngewebe vorhanden, um eine sichere Aussage treffen zu können.

2005 vier Millionen Euro für BSE-Tests ausgegeben

Zum anderen belegte die schon damals aussagekräftige - weil umfassende - Todesstatistik, daß überwiegend ältere Semester aufgrund der langen Inkubationszeit der Erkrankung zum Opfer fielen. Daran hat sich bis heute nichts geändert: Von den fast 13 Millionen in Deutschland geschlachteten und auf BSE untersuchten Rindern wurden bislang 380 für BSE-positiv befunden.

Bei den wenigen unter 30 Monaten alten Rindern handelte es sich allerdings um gefallene Tiere - Kreaturen, die aufgrund welcher Krankheit auch immer verendeten und laut Gesetz sowieso einem BSE-Test unterzogen werden müssen. Zudem belegt eine aktuelle Bilanz, daß während der letzten vier Jahre innerhalb der EU kein Rind unter 36 Monaten an BSE erkrankte. Grund genug für die EU-Kommissare, ernsthaft über eine Anhebung des Testalters auf 36 Monate nachzudenken.

Daß vor diesem Hintergrund die Bundesregierung bis vor kurzem noch beharrlich an einem Testalter von 24 Monaten festhielt, entzieht sich der Ratio. Immerhin kostete der deutsche Einzelweg für die hiesige Land- und Fleischwirtschaft bei gut 15 Euro Testkosten und über 260.000 Schlachtungen von Rindern mit einem Alter zwischen 24 und 30 Monaten alleine im Jahr 2005 rund vier Millionen Euro.

Nicht viel, will man meinen, aber immerhin genug, als weiterer Posten im Kapitel "Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der Europäischen Union" zu dienen. In diesem Zusammenhang dürfte man im übrigen auch die in properen Mengen importierten und somit nicht getesteten Fleischberge von unter 30 Monaten alten Rindern zählen.

Bei der über Jahre dauernden und allzu konsequenten Haltung Deutschlands handelt es sich letzten Endes um eine Fehlentscheidung. Dies wurde auf der jüngsten Bund-Länder-Klausur zur Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit offenbar, als Politik und Wissenschaft eine Angleichung des Testalters auf derzeitiges EU-Niveau von 30 Monaten beschlossen.

Auf baldige Umsetzung ist zu hoffen, denn die von Brüssel angedachte Anhebung des Testalters auf 36 Monate zeichnet sich ab. So bliebe - zwar auf anderem Niveau - alles beim alten und Deutschland seinem Sonderstatus wieder einmal weiterhin treu.

BSE-Informationen gibt es unter dem Stichwort auf der Internetseite des Agarministers: www.verbraucherministerium.de


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