© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/06 03. März 2006

"Praktische Lösung für ein Problem"
Thomas Gericke, Kommandeur des Fliegerhorsts Fürstenfeldbruck, über seine Initiative zur Tilgung von Traditionsnamen
Moritz Schwarz

Herr General, auf wessen Initiative hin haben Sie sämtliche Straßennamen verdienter Soldaten - vor allem des Ersten und Zweiten Weltkriegs - auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck aufgehoben (JF 9/06)?

Gericke: Dazu haben wir uns selbst entschieden, es gab keine Weisung aus Bonn.

Warum haben Sie sich dazu entschlossen?

Gericke: Bekanntlich gibt es einen Bundestagsbeschluß, der bestimmt, daß ehemalige Mitglieder der deutschen Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg als Namenspaten für Einrichtungen der Bundeswehr nicht mehr zulässig sind, darunter auch der Name Werner Mölders. So waren wir 2005 gezwungen, insgesamt sieben Straßennamen aufzuheben. Seitdem waren diese vakant und vor uns stand nun die Aufgabe, neue Namenspaten zu finden. Das barg allerdings die Gefahr, eine neue umfangreiche politische Debatte loszutreten - ganz abgesehen vom aufwendigen und langwierigen Prozedere in puncto Namensrechte etc. Also haben wir uns zu einem neuen Ansatz entschlossen, nämlich sämtliche Straßennamen abzuschaffen und dem Straßennetz im Fliegerhorst den einheitlichen Namen "Straße der Luftwaffe" zu geben.

Und wie orientieren Sie sich nun?

Gericke: Wie immer, nach den Blocknummern. Dazu haben die Straßennamen schon in der Vergangenheit nicht gedient.

Mit dieser Lösung gehen Sie freiwillig über alles hinaus, was Grüne, PDS und selbst der "linkeste" Bilderstürmer je gefordert hat.

Gericke: Mit Bilderstürmerei hat das nichts zu tun. Wir haben stets betont, daß unter dieser Maßnahme keine Distanzierung von den betroffenen Persönlichkeiten zu verstehen ist. Über Traditionswürdig- oder Unwürdigkeit sagt diese Maßnahme nichts aus! Ich würde es so formulieren: Wir haben für ein Problem eine pragmatische Lösung gefunden.

Inwiefern?

Gericke: Der Inspekteur der Luftwaffe hat formuliert: "Wir stehen in Kabul und Kunduz im Einsatz und debattieren über Straßennamen! Das kann doch wohl nicht unser Ernst sein?" Recht hat er! Außerdem haben wir mit dieser Maßnahme gleich noch einen neuen Ansatz für ein altes Problem gefunden: Nämlich, daß nach bisheriger Praxis fast ausschließlich Persönlichkeiten aus der Zeit 1914 bis 1918 und 1939 bis 1945 zu Ehren gekommen sind. Wo bleibt da der Raum für die eigene Geschichte unserer heutigen Luftwaffe?

Armeen definieren sich nun einmal traditionell über Schlachten, Kämpfe und Siege - und nicht über die Friedenszeiten dazwischen. Muß man sich um Selbstverständnis und innere Einsatzbereitschaft einer Armee, die auf so eine Idee kommt nicht ein wenig Sorgen machen?

Gericke: Nein! Die Leistungen der Bundeswehr im Kosovo, in Afghanistan und am Horn von Afrika beweisen das Gegenteil. Hier erfüllt die Truppe ihre Aufgabe nicht nur nach eigenen Maßstäben vorbildlich, sondern auch nach dem Urteil unserer Verbündeten. Gerade Einsatzbereitschaft und Einsatzkompetenz der Bundeswehr haben in den letzten Jahren sehr zum internationalen Renommee Deutschlands beigetragen. Das aber ist ein Tatbestand, der in der Straßenbenennungspraxis unseres Standortes keinen Niederschlag gefunden hat. Und das, obwohl obendrein die Geschichte der Bundesluftwaffe immerhin schon länger währt, als die der vorigen deutschen Luftstreitkräfte zusammen!

Ein berechtigter Einwand, aber warum nicht statt der "Tabula rasa"-Politik, künftig einfach gelegentliche Ergänzung durch weitere Namen?

Gericke: Heute baut die Bundeswehr keine neuen Kasernen mehr, sie schließt höchstens welche. Wo bleibt da der Platz für die Geschichte und Tradition seit 1955? Es kann doch nicht sein, daß eine einzige Generation - ich meine die Gründergeneration der Bundeswehr - mit ihrer Namengebung Festlegungen für alle Zeiten trifft.

Bei Ihnen klingt das, als ob die Traditionspflege der Vor-Bundeswehr-Zeit in Saft und Kraft stünde und für die Bundeswehr selbst keinen Platz mehr ließe. Tatsächlich aber werden seit den neunziger Jahren aller Orten Traditionsräume ausgeräumt und Namen getilgt, werden Kasernen, Schiffe, Geschwader und eben auch Straßen umgewidmet - übrigens meist nicht zugunsten verdienter Soldaten der Bundeswehr, sondern zugunsten von Orts- und Flurnamen.

Gericke: Das können Sie nicht alles in einen Topf werfen, Kasernennamen zum Beispiel haben eine ganz andere Bedeutung als Straßennamen innerhalb einer Kaserne. Ich wäre zum Beispiel gar nicht befugt, den hiesigen Fliegerhorst umzubenennen. Bei Straßennamen ist das anders, hier haben wir, das heißt die Truppe am Standort, die Kompetenz.

Diese "Tabula rasa"-Politik bedeutet im Klartext, daß Sie die Tradition der Bundesluftwaffe aus sich selbst heraus definiert sehen. Das entspricht im Grunde ganz dem offiziellen Traditionsverständnis, das - bis auf Scharnhorst und den 20. Juli 1944 - die Tradition allein aus der Zeit seit 1955 schöpfen will.

Gericke: Die Frage ist, was Sie unter Traditionspflege verstehen. Bringen wir die Debatte auf den Boden zurück: Straßenschilder dienen in erster Linie der Orientierung, nicht der Traditionspflege. Sie überbewerten die traditionsstiftende Funktion von Straßenschildern völlig! Viele Soldaten haben etwa bis zur Debatte um Mölders gar nicht gewußt, daß es hier eine Werner-Mölders-Straße gab.

Wäre die angemessene Antwort auf diesen Mißstand nicht, die Soldaten künftig besser aufzuklären, statt das Straßenschild abzunehmen?

Gericke: Die Straßenschilder verschwinden nicht, sondern werden in einem Traditionsraum des Jagdbombergeschwaders 49 aufbewahrt. Aber ich meine, Aufklärung über historische Soldatenpersönlichkeiten ist Sache der militärhistorischen Ausbildung, wie zum Beispiel der Unterricht im Fach Militärgeschichte an der Offiziersschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck. Im Unterricht besteht auch die Möglichkeit, Pro und Contra der einzelnen Lebensläufe zu erläutern, was auf einem Straßenschild nicht möglich ist.

In fast jeder deutschen Stadt finden Sie eine Konrad-Adenauer- oder Willy-Brandt-Straße. Wir versuchen selbstverständlich damit, unsere politische Tradition zu verwurzeln. Die Kopplung von Traditionspflege und Straßennamen können Sie also nicht einfach negieren.

Gericke: Das ist sicherlich richtig, aber Tatsache ist auch, daß innerhalb der Luftwaffe keine Traditionsdebatte stattfindet! Das zeigt, daß unsere Maßnahme richtig verstanden wurde: nämlich als administrativer und nicht als geschichtspolitischer Akt.

Es gibt tatsächlich keinerlei interne Debatte?

Gericke: Nein, es gab eine Debatte im Fall Mölders, seitdem ist die Sache geklärt. Die jetzige Debatte wird von außen an uns herangetragen, über Leserbriefe, Presseartikel und einige sich zu Wort meldende Ehemalige.

Wie stark war die öffentliche Kritik?

Gericke: Es gab etwa fünf, sechs Leserbriefe in der Lokalpresse und etwas Kritik von seiten Ehemaliger. Es ist aber erkennbar, daß letzteres vornehmlich auf die Aktivitäten lediglich zweier ehemaliger Generale der Luftwaffe zurückgeht. Wir können feststellen, daß sich der Widerspruch in sehr engen Grenzen hält.

Wie war die Reaktion bei Ihren Offizieren?

Gericke: Ich habe nicht selbstherrlich eine Entscheidung getroffen, sondern in Übereinstimmung mit sämtlichen Dienststellenleitern des Standortes eine bereits über einen längeren Zeitraum entwickelte Lösung umgesetzt. Es bestand Einigkeit.

Und bei Unteroffizieren und Mannschaften?

Gericke: Da gab es nicht die geringste Reaktion. Nichts. Ich vermute, die meisten Soldaten haben die Maßnahme an sich gar nicht bemerkt.

Ein Symptom für die inzwischen völlige Traditionslosigkeit der Truppe?

Gericke: Nein, vielmehr ein Beweis dafür, daß zutrifft, was ich eben gesagt habe, nämlich daß die Straßenschilderfrage von den Soldaten nicht als Mittel der Traditionspflege verstanden wird.

In anderen Armeen wäre ein solcher Umgang mit der Tradition undenkbar. Ein deutscher Sonderweg?

Gericke: Man muß verstehen, daß die Bundeswehr eine Schöpfung der Nachkriegszeit ist. Sie hat nicht das mehrhundertjährige Selbstverständnis etwa der britischen Armee. Das ist nun einmal eine historische Tatsache. Die deutsche Geschichte ist eben eine gebrochene Geschichte, das müssen wir akzeptieren.

Was ist denn die Identität eines Bundeswehrsoldaten? Erschöpft sie sich allein in seinem Verständnis als Erfüller eines Auftrages?

Gericke: Nein, natürlich nicht, aber die Bundeswehr arbeitet eben stärker als die Armeen anderer Nationen noch an ihrer vergleichsweise jungen Militärgeschichte. Gerade deshalb sollten wir endlich die letzten fünfzig Jahre wesentlich stärker berücksichtigen, als das bisher der Fall war. Das sah das im sogenannten "Traditionserlaß" niedergelegte Selbstverständnis der Bundeswehr übrigens im Grunde schon immer vor, nur wurde dies - aus nachvollziehbaren Gründen - vom Führungspersonal der Bundeswehr in den ersten Jahrzehnten noch nicht so gehandhabt. Wir sollten das nun endlich ins rechte Lot bringen. Wir haben heute eher die Möglichkeit ein eigenständiges Selbstbewußtsein als Bundeswehrsoldaten zu entwickeln.

Befürchten Sie nicht manchmal, es geht viel mehr um ein politisch korrektes als um ein bundeswehrspezifisches Bewußtsein? Denn nach wie vor ist völlig unklar, warum Sie dieses - ganz so wie das Bundesverteidigungsministerium - beständig im Widerspruch zur Tradition der deutschen Militärgeschichte vor 1955 sehen?

Gericke: Es handelt sich nicht um einen Gegensatz, sondern eine Fortentwicklung. Im Rahmen der heutigen Political Correctness sieht Traditionspflege eben etwas anders aus, als das in früheren Jahren der Fall war. Das ist Folge unserer gesellschaftlichen Entwicklung. Daß wir als Parlamentsarmee dem Rechnung tragen, ist doch nur natürlich und sorgt dafür, daß die Bundeswehr den Anschluß an die Gesellschaft nicht verliert.

 

Generalmajor Thomas Gericke ist Kommandeur der 1. Luftwaffendivision und Standortältester des Fliegerhorstes Fürstenfeldbruck, der in den vergangenen Wochen durch die Aufhebung sämt-licher Kasernenstraßennamen - im Zuge der Maßnahme gegen ehemalige Angehörige der Legion Condor - in die Schlagzeilen geraten ist. Zuvor war der General Stabsabteilungsleiter für Rüstung, Logistik und Planung im Führungsstab der Luftwaffe im Bundesministe-rium der Verteidigung in Bonn. Geboren wurde er 1946 in Hamburg, in die Bundeswehr trat er 1967 als Luftwaffensoldat in Landsberg am Lech ein. Gericke ist Träger des Ehrenkreuzes der Bundeswehr in Silber und in Gold.


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