© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/06 03. März 2006

Reparaturen am Wertegerüst
Programmdiskussion: Die CDU will ihr Profil schärfen / Böhr: Christliches Menschenbild als Leitkultur / Ringen um Familienpolitik
Paul Rosen

Die CDU ist an der Macht, aber sie sucht nach ihrem Kurs. Auf Beschluß der Parteiführung wurde der Union eine Wertedebatte verordnet. Sie begann auf dem "Wertekongreß" in Berlin - ohne Diskussion und vor auffällig vielen leeren Delegiertenstühlen. Die 80 erschienenen der rund 130 Delegierten des "Kleinen Parteitages", der in der vergangenen Woche das Forum zum Auftakt zur Debatte bildete, hörten zwei Reden und fuhren wieder nach Hause. Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel gab den Heimfahrern ein paar Begriffe mit: Die CDU werde am christlichen Menschenbild festhalten, wieder mehr von Solidarität reden, und auch ein paar Bezüge zur Nation sollen das Wertegerüst verstärken.

Die Defizite der CDU waren bei der vergangenen Bundestagswahl und auch danach deutlich zutage getreten. Dem Regierungsprogramm fehlte die übergeordnete Klammer (das christliche Menschenbild). Viele Wähler und gewiß nicht nur Kirchgänger nahmen die CDU nur noch als wirtschaftsliberale Technokratenvereinigung wahr, die die Menschen weitgehend schutzlos der Globalisierung und ihren Folgeerscheinungen überlassen wollte. Die "Solidarität" kam ebenfalls nicht mehr vor, was der geplante Einheitsbeitrag für alle bei der Krankenversicherung besonders deutlich machte. Und von der Nation sprach man in der CDU schon traditionell erheblich weniger als zum Beispiel in der CSU.

Jetzt soll alles besser werden. Der stellvertretende Parteivorsitzende Christoph Böhr, der seit Jahren unauffällig die Wertekommission der Partei leitet, meinte vor den Delegierten, jede Gesellschaft brauche "ein Leitbild, eine Leitkultur, wenn sie zusammengehalten werden will". Und diese Leitkultur sei das christliche Menschenbild. Böhr wörtlich: "Jeder Mensch hat eine unantastbare Würde, und diese Würde ist um jeden Preis zu schützen." Diese Aussage hat laut Böhr sogar einen universellen Anspruch. Einen Moment hatte man den Eindruck, daß hier ein CDU-Funktionär auf Augenhöhe mit dem universellen Anspruch des Islam treten will.

Die Kanzlerin drückte sich natürlich erheblich vorsichtiger aus. Angela Merkel ist intelligent genug, ihre Stärken (Machtpolitik) und ihre Schwächen (einseitige wirtschaftspolitische Positionen) zu kennen. So nutzte die Parteichefin das Forum, um den Eindruck, sie sei für das eingestürzte Wertegerüst der Partei verantwortlich, zu widerlegen. Maßstab für die CDU sei das christliche Menschenbild, aus dem sie eine "verantwortete Freiheit" ableitet. Neben der Freiheit seien aber auch Begriffe wie Gerechtigkeit und Solidarität wieder mit Leben zu füllen. "Wir müssen ein Land bleiben, in dem Solidarität gelebt wird ohne die Frage nach dem materiellen Vorteil", sagte sie. Bis zur Bergpredigt kam die CDU-Chefin dann aber doch nicht. Aber sie machte einen Ausflug in die von der CDU immer vernachlässigte nationale Ecke: Solidarität sei auch eine der "wichtigsten patriotischen Fähigkeiten" und Voraussetzung für den Zusammenhalt der Nation. Wer annimmt, jetzt würden Hunderttausende von CDU-Mitgliedern damit beginnen, über christliche Werte und Solidarität zu diskutieren, ist auf dem Holzweg. Die Debatte wird in kleinen Kreisen geführt werden, in Böhrs Wertekommission und in Vorständen.

Eine breite Debatte wäre angesagt in einer Zeit, in der sich das Abendland einer aggressiver werdenden islamischen Massenbewegung gegenübersieht. Wer in dieser weltweiten Auseinandersetzung nur mit Werten wie Wohlstand und Sozialer Marktwirtschaft daherkommt, hat keine guten Karten. Das hat man sogar im Konrad-Adenauer-Haus gemerkt, ohne allerdings Gegenpositionen zum Islam herauszuarbeiten. Merkel tat dies nur indirekt, indem sie ankündigte, das Existenzrecht Israels in das CDU-Programm schreiben zu wollen.

Eine breite Debatte wäre in der CDU auch angebracht angesichts einer Familienpolitik, die Alleinerziehende und Doppelverdiener-Familien beinahe zum alleinigen Maßstab aller Dinge erhoben hätte. Auch von der CDU wird nicht mehr verlangt, daß sie das traditionelle Familienbild (ein Partner arbeitet, der andere sorgt für Kinder und Heim) in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellt. Aber Familien, die sich für diesen Weg entschieden haben, von steuerlichen Förderungen ausschließen zu wollen, zeigt, wie baufällig das Wertegerüst der CDU ist. Auch die CSU ist vor solchen Entwicklungen nicht gefeit. Sonst hätte es des Appells einer Gruppe von jungen bayerischen Bundestagsabgeordneten an Parteichef Edmund Stoiber, am traditionellen Familienbild festzuhalten, nicht bedurft (JF 9/06).

Die Wertedebatte in der CDU dürfte so schleppend weitergehen wie sie begonnen hat. Die Generation der 40- bis 50jährigen, die jetzt als Merkels Gehilfen an den Schalthebeln der Partei und Fraktion sitzen, sind Berufspolitiker, die ihre Positionen wechseln wie ihre weißen Oberhemden. Orientierungsmaßstab sind die nächsten Wahlen. Und wenn man mit Reden über Solidarität und Nation mehr Punkte macht als mit neuer Sozialer Marktwirtschaft, dann werden die Etiketten getauscht. Ändern tut sich damit aber nichts.

Foto: CDU-Chefin Angela Merkel, Schatten von Partei-Vize Christoph Böhr: Debatte im kleinen Kreis


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