© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/06 03. März 2006

Selbstzweifel inklusive
Bündnis 90/Die Grünen: Die Partei sucht ihre Rolle in der Opposition zwischen FDP und Linkspartei
Peter Freitag

Ihre Meinung zur Frage, ob ein Untersuchungsausschuß zur "BND-Affäre" eingerichtet werden soll, hat die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen zum zweiten Mal binnen eines Monats geändert; nun sind sie also wieder dafür, wie in der ersten Abstimmung zunächst auch. Da hatte nur der ehemalige Außenminister Joschka Fischer gegen einen Ausschuß gestimmt, bevor schließlich die Fraktionsführung auf ein diffuses "Jein" umschwenkte. Das Herumlavieren in einer einzigen Sachfrage ist symptomatisch für den Zustand dieser Partei: orientierungs-, führungs- und bedeutungslos zu sein.

Mit ihren 8,1 Prozent Zweitstimmen bei der Wahl im vergangenen September bilden die Grünen die kleinste Fraktion im Parlament. Dabei sehen sie sich nicht nur der zahlenmäßig überragenden Großen Koalition gegenüber, sondern auch innerhalb der Opposition zwischen den beiden Polen aus marktwirtschaftlich-liberaler FDP einerseits und sozialistischer PDS/Linkspartei andererseits eingekeilt. Die Verdrängung der Grünen vollzieht sich auch inhaltlich. So läßt sich ihr Anspruch, sozial und reformorientiert zu sein, in dieser Lage schwer verkaufen: Für den Abbau sozialstaatlicher Leistungen steht die FDP, für das genaue Gegenteil die PDS, und dazwischen die christ-sozialdemokratische Koalition.

Negativ für die eigene Profilierung wirkt sich auch aus, daß essentiell "grüne" Themen - vor allem Ökologie, Pazifismus und Multikultur - in der Öffentlichkeit zunehmend ins Hintertreffen geraten: Der Ausstieg aus der Kernenergie wird von der jetzigen Bundesregierung nicht angetastet. Vom strikten Pazifismus haben sich die Grünen unter innerparteilichen Turbulenzen bereits als Regierungspartei 1999 und 2001 verabschiedet, von der unter den Deutschen weitverbreiteten Stimmung gegen den Irakkrieg konnte die SPD zuletzt mehr profitieren als die Grünen.

Mit Bekenntnissen zur vor Jahren noch gepflegten multikulturellen Utopie ist dieser Tage auch kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Islamistische Gewalttaten in europäischen Metropolen, Ghetto-Bildung und Parallelgesellschaften, Kriminalität und schlechte Qualifikation von Menschen mit "Migrationshintergrund" sind nur einige Stichworte, die selbst unter Linken ein Umdenken in Gang gebracht haben. Wie schwer sich die Grünen jedoch damit tun, daraus die entsprechenden Schlußfolgerungen zu ziehen, zeigt die Reaktion der Parteivorsitzenden Claudia Roth auf die Selbstverpflichtung einer Berliner Schule zur ausschließlichen Verwendung der deutschen Sprache auf dem Schulgelände.

Bedeutungsverlust "grüner" Themen

Die stets mit mehr Betroffenheit als Sachkenntnis ausgestattete Politikerin wetterte hysterisch gegen diese Art der "Zwangsgermanisierung". Neben dem Bedeutungsverlust "grüner" Themen macht die Indifferenz zu den langfristig entscheidenden Themen Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Sozialstaat den Grünen zu schaffen. Zudem fehlt der Partei mittlerweile das, was sie einst stark machte: eine Verzahnung mit der außerparlamentarischen Opposition. Was früher Anti-AKW- oder Friedensbewegung schafften, nämlich junge linke Protestierer auf die Straße zu bringen, vermag wenn überhaupt heutzutage nur die Antiglobalisierungsbewegung; die hat jedoch weit weniger Schnittmengen mit den Grünen. Wie der Göttinger Parteienforscher Franz Walter kürzlich analysierte, bringt den Grünen ihr Vordringen in bürgerliche Wählerschichten nicht nur Vorteile. Denn was da zu ihnen überlief, kann sich auch schnell wieder abwenden. Der "Verlust an charismatischem Charme und inspirierender Originalität führt zyklisch zum Liebesentzug im linksliberalen Bürgertum", schreibt Walter im Spiegel.

Der Status einer Oppositionspartei ist den Grünen nicht unvertraut, im Gegenteil. Sie sind zu Beginn ihrer Geschichte als zeitweilig radikale Fundamental- (oder sogar "System-") Opposition angetreten und erlangten zu diesen Zeiten große Zustimmung. Neu auf Bundesebene ist jedoch der Umstand, als ehemalige Regierungspartei in die Opposition geschickt worden zu sein. Und daß sie damit ein Problem haben, zeigt sich eben gerade im Zusammenhang mit dem BND-Untersuchungsausschuß. Anders als PDS und FDP können die grünen Oppositionellen nicht eine schonungslose Abrechnung vornehmen, da eine Beschädigung der jetzigen Regierungspartei SPD auch eine Demontage des einstigen grünen Koalitionärs nach sich zöge. Roth unkte denn auch besorgt über den Versuch einer "Diskreditierung des Neins zum Krieg", dem ihre Partei entschieden entgegentreten wolle. Das beträfe nämlich nicht nur den einstigen grünen "Übervater" Fischer, sondern auch die jetzige Fraktionschefin Renate Künast, die einst am Kabinettstisch der Schröder-Regierung saß. Ohnehin offenbarte Fischers Rückzug auf die Hinterbank die Lücken in der Führungsmannschaft von Partei und Fraktion. Die Partei, die sich institutionell am stärksten gegen eine klare Hierarchie zur Wehr setzte, ist damit die de facto am deutlichsten autokratisch geführte gewesen. Vergleichbare Autorität und - bei den Wählern - Popularität können weder Künast noch Kuhn, weder Roth noch Bütikofer vorweisen.

Foto: Claudia Roth, Renate Künast und Fritz Kuhn (v. l.): Der Führungsmannschaft mangelt es an Autorität


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