© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/06 10. März 2006

"Regelrechte Pogrome"
Paul Murdoch, Leiter der Informationsstelle Religionsfreiheit, über die weltweite Verfolgung von Christen
Moritz Schwarz

Herr Dr. Murdoch, in Nigeria wurden unlängst mindestens 14 Christen im Zuge der Unruhen wegen der Mohammed-Karikaturen ermordet - einige wurden lebendigen Leibes verbrannt (JF berichtete). Aufregung oder auch nur Betroffenheit in Europa? Fehlanzeige!

Murdoch: Man kann schon froh sein, daß wenigstens diese 14 Fälle gemeldet wurden. In Nigeria schätzen wir die Zahl der ermordeten Christen in den letzten Jahren seit Einführung der Scharia in den nördlichen Provinzen auf etwa drei- bis viertausend. Das ist in Europa kaum jemandem eine Meldung wert. Nur vor dem Hintergrund des Karikaturen-Streits hat man nun einmal Notiz von diesen Vorgängen genommen. Es geht da aber wohl eher um die "Clash of Civilisation"-Brisanz, die die Redakteure darin wittern, als um Anteilnahme am Schicksal der Christen außerhalb Europas.

Morddrohungen gegen Karikaturisten regen uns offenbar bei weitem mehr auf als tatsächlicher Mord an Christen.

Murdoch: Wir müssen immer wieder feststellen, daß unsere Medien eher über Morde von Christen an Muslimen als von Muslimen an Christen berichten. Wir würden uns wünschen, daß man allen solchen Untaten Aufmerksamkeit schenkt. Wobei uns mit den Christen unter den Opfern natürlich das Band des gemeinsamen Glaubens eint. In jeder Religion gibt es eine besondere Solidarität der Gläubigen. Das ist etwas Natürliches und wird auch von der überwiegenden Mehrheit der Menschen - nur eine absolute Minderheit weltweit versteht sich als Atheisten - selbstverständlich akzeptiert. Auch Moslems etwa billigen Christen untereinander eine besondere Solidarität zu, ja sie bewundern sie sogar.

Oftmals allerdings zu Unrecht.

Murdoch: Leider ja, denn in Europa interessiert die Solidarität mit den Christen in aller Welt meist herzlich wenig.

Wer bei der EKD anfragt, welche Stelle sich dort um das Thema Verfolgung von Christen weltweit kümmert, wird an die Evangelische Allianz verwiesen.

Murdoch: Es gab wohl eine Stelle der EKD in Hannover die sich dem Problem gewidmet hat. Doch dann ist die Referentin in Mutterschutz gegangen.

Ein schlechter Scherz?

Murdoch: Leider nein. Für das Thema "Christen in aller Welt" unterhält die EKD mehrere zuständige Stellen, nicht jedoch für das "Spezialthema" Christenverfolgung.

Es ist kein Geheimnis, daß die als konservativ geltende Evangelische Allianz in großen Teilen der EKD nicht wohlgelitten ist. Daß die EKD das Problem bereitwillig auch noch einer Organisation überläßt, die bei ihr "nicht sehr hoch im Kurs steht", zeigt, wie gering das Interesse daran offenbar ist.

Murdoch: Es stimmt, daß von seiten der EKD mitunter noch eine gewisse Berührungsscheu besteht. Allerdings wandelt sich das in letzter Zeit spürbar, und wir sind sehr dankbar dafür. Es gibt inzwischen auch Mitglieder im Rat der EKD, die eine besondere Nähe zu Allianzkreisen haben.

Man kann der EKD dagegen nicht vorwerfen, sie ließe es an Engagement für den interreligiösen Dialog oder gar die aktive Unterstützung der Ausbreitung des Islams fehlen.

Murdoch: Da läuft vieles verkehrt, aber wir sollten betonen, daß sich manche Dinge langsam, aber sicher zum Guten wenden. Denken Sie zum Beispiel an den EKD-Ratsvorsitzenden Huber oder die Bischöfin Käßmann, die bei ihrer Wahl noch als liberal-modernistisch galten, heute aber spürbar zu den mit dieser Position verbundenen Dogmen teilweise auf Distanz gehen. Heute sind sie eher bereit, die eigene christliche Identität zu betonen, statt bedingungslos das angeblich Verbindende mit anderen Religionen zu suchen, auch da, wo es gar nicht existiert.

Wie steht es um das Thema Christenverfolgung in der Katholischen Kirche?

Murdoch: Auch die Katholische Kirche ist bei dem Thema sehr zurückhaltend, allerdings aus etwas anderen Gründen. Als Organisation, die in fast allen Ländern der Erde präsent ist, versucht sie alles, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Sie hat die Tendenz, Fälle von Christenverfolgung stets möglichst nicht als solche auszulegen. Beispiel: Wird in Asien eine Bombe in eine Kirche geworfen, interpretiert man das lieber als eine kriminelle, denn eine antichristliche Tat. Denn man fürchtet, die katholische Minderheit könnte durch diese Provokation in einen generellen Widerspruch zur etwa moslemischen oder hinduistischen Mehrheit dort geraten.

Können Sie einen Überblick über die Situation der Christenverfolgung heute weltweit geben?

Murdoch: Es gibt drei politisch-soziologische Grundbedingungen für religiöse Verfolgung, mit denen sich auch die Verfolgung von Christen weltweit zusammenfassen lassen. Da wären erstens die totalitären Staaten, wie etwa Nordkorea, Vietnam, China oder Kuba. Hier ist die Verfolgung der Christen mit einem politischen Faktor überlagert: nämlich der Angst dieser Staaten vor Menschen, die durch ihr christliches Bekenntnis signalisieren, daß sie nicht bereit sind, sich gleichschalten zu lassen. Die Verfolgung reicht in diesen Ländern von der Unterdrückung der freien Religionsausübung bis hin zur Ermordung, ja regelrechten Vernichtung von Christen.

Zum Beispiel?

Murdoch: Zum Beispiel in Nordkorea, wo es heute offiziell noch ein paar tausend Christen gibt. Nach dem Zweiten Weltkrieg zählte der Norden Koreas aber - mit möglicherweise bis zu einer halben Millionen - die größte Konzentration von Christen in Asien überhaupt zu jener Zeit. Pjöngjang war bekannt als das "Jerusalem des Ostens". Aufgrund der Abschirmung des Landes wissen wir bis heute nicht, was aus den "fehlenden" etwa 300.000 bis 500.000 Christen geworden ist. Sind sie "umerzogen" worden? Sind sie in Arbeitslagern? Sind sie tot? Berichte von Geflohenen lassen das Schlimmste ahnen.

Welche Rolle spielt der kommunistische Atheismus dabei?

Murdoch: Sicher auch eine Rolle, aber primär dürfte es heutzutage eher eine Frage des Totalitätsanspruchs des Staates sein als des Weltanschauungsanspruchs der Ideologie. Denn ideologisch sind diese Staaten ja alle mehr oder weniger in der Krise. Schwächelnde Staaten können Bürger, die eine höhere Autorität als die Staatsgewalt anerkennen, nicht ertragen. Das Potential für zivilen Ungehorsam ist zu groß, das könnte außer Kontrolle geraten.

Die zweite von Ihnen genannte Grundbedingung?

Murdoch: Die zweite Grundbedingung ist die Desintegration der ordnenden Staatsgewalt, nämlich in korrupten Staaten oder Staats-teilen, wie wir sie etwa in Südamerika antreffen. Hier ist die Christenverfolgung oftmals mit einer sozialen Problematik überlagert. Zum Beispiel, wenn die arme christliche Bevölkerung unter den Interessen von Grundbesitzern oder Industriellen und denen des mit ihnen kungelnden korrupten Regimes oder aber unter einer Rebellengruppen oder einem Drogenkartell, die Teile des Landes kontrollieren, leiden müssen. Heute haben wir es mit einer solchen Situation in Bolivien, Kolumbien, Equador und Chiapas (Mexiko) zu tun. Hier haben Christen scheinbar weniger unter Unterdrückung wegen ihrer reinen Religionszugehörigkeit als unter Terror, etwa in Gestalt von Todesschwadronen oder Polizei- und Armeewillkür zu leiden. Es ist jedoch die Auswirkung ihrer christlichen Überzeugung, die sie zum "Sand im Getriebe" des korrupten Systems werden läßt.

Beim Stichwort Christenverfolgung heute denken die meisten Menschen wohl an den Isalm.

Murdoch: Das ist die dritte Grundbedingung für religiös begründete Verfolgung. Es gibt eine ganze Reihe von Ländern mit einem mehr oder weniger christenfeindlichen Selbstverständnis, weil die vorherrschende Religion den christlichen Glauben als feindliche Konkurrenz sieht. Es ist aber falsch, dabei nur an den Isalm zu denken, auch der Hinduismus in Indien und der Buddhismus, der hierzulande von vielen als Inbegriff der Friedfertigkeit gehandelt wird, machen uns große Sorgen. Auch dort gibt es radikale, gegen das Christentum äußerst aggressiv eingestellte Strömungen. In Sri Lanka und Bhutan etwa eskaliert die Situation seit einem guten Jahr. Insgesamt haben wir es hier oft mit einer Überlagerung von kulturellen, teilweise auch ethnischen Faktoren zu tun. In Saudi-Arabien zum Beispiel geht es gegen den christlichen Glauben an sich. Im Sudan dagegen weist die Tatsache, daß im Westen (Darfur) auch moslemische Schwarze dem Terror der von der Regierung im Norden "benutzten" arabischen Reitermilizen zum Opfer fallen, darauf hin, daß die Christen im Süden dort nicht nur als Christen verfolgt werden. Die Bandbreite der Verfolgung reicht in diesen Ländern von der Diskriminierung im Alltag bis hin zu Massenmorden, ja regelrechten Pogromen.

Ist diese Dreiteilung nicht etwas schematisch?

Murdoch: Natürlich überlagern sich im konkreten Fall oft mehrere Faktoren. Im kommunistischen Vietnam zum Beispiel ist die Verfolgung der Christen auch mit einem ethnischen Konflikt zwischen Vietnamesen und Bergstämmen verbunden. Im buddhistischen/islamischen/hinduistischen Birma bzw. Myanmar dagegen haben wir es gleichzeitig mit einem totalitären Regime zu tun.

Am vergangenen Wochenende haben in Israel zahlreiche Christen demonstriert, weil sie sich vom israelischen Staat nicht genug gegen Übergriffe geschützt sehen. Wie ist die Lage der Christen im Heiligen Land?

Murdoch: Das ist auch mitunter ein heikles Kapitel, vor allem für Christen, die sich als Juden haben taufen lassen. Natürlich kann man das nicht verallgemeinern, aber jüngst etwa gab es in Berscheba im Süden Israels gewalttätige Proteste gegen Christen.

Wenigstens in Europa gibt es aber keine Probleme?

Murdoch: Wir glauben vorschnell, die Diskriminierung von Christen sei heutzutage eine rein außereuropäische Sache. Erinnern Sie sich aber doch zum Beispiel an den Fall Rocco Buttiglione: Ein Politiker wurde nicht aufgrund seiner politischen, sondern allein wegen seiner persönlichen Glaubensüberzeugung als nicht tragbar für ein politisches Amt in Europa befunden. Wenn wir die Situation in verschiedenen europäischen Ländern zusammenfassen, so muß man leider feststellen, daß es eine besorgniserregende Tendenz gibt.

Inwiefern?

Murdoch: In Deutschland etwa ist in manchen Bundesländern das offene Bekennen seines Glaubens in öffentlichen Räumen wie Schulen und Ämtern mittlerweile verboten. Familien, die eine christliche Erziehung ihrer Kinder an staatlichen Schulen nicht mehr gewährleistet sehen und ihre Kinder zu Hause unterrichten wollen, bekommen es mit der Polizei zu tun. Blinde Schmähung, Mißbrauch und Herabwürdigung - ich spreche nicht von substantieller Kritik - des Christlichen ist im deutschen Alltag fast allgegenwärtig, und jede Privatperson scheint mehr Schutz ihrer persönlichen Würde zu genießen als die christliche Religion, ihre Anhänger und Vertreter.

Gibt es auch Beispiele außerhalb Deutschlands?

Murdoch: In Frankreich ist die Situation schon weiter fortgeschritten. Dort können mittlerweile Christen, die ihren Glauben im biblischen Sinne konsequent leben und weitergeben wollen, wegen "Gehirnwäsche" und "psychologischer Druckausübung" vor Gericht gestellt werden. So unlängst geschehen, zum Beispiel in Mühlhausen im Elsaß. Kleinere christliche Gemeinschaften werden dort rasch als "Sekten" ausgegrenzt. In Belgien wird sogar der CVJM schon vom Inlandsgeheimdienst beobachtet. US-amerikanische Jugendliche wurden kurzerhand von belgischen Behörden wegen einer harmlosen Straßenevangelisation abgeschoben. In ganz Europa erleben wir die Tendenz, christliche Symbole und Inhalte als potentiell diskriminierend zu diffamieren und ihrerseits zunehmend zu diskriminieren. Überzeugte Christen werden in der Öffentlichkeit immer wieder als "Fundamentalisten" verunglimpft und moralisch rasch auf eine Stufe mit "islamischen Fundamentalisten", sprich Islamisten und Attentätern gestellt. All diese Tendenzen sind auch deshalb so schlimm, weil sie anzeigen, daß sich die Situation in Zukunft noch weiter zu verschlechtern droht. Allerdings möchte ich natürlich nicht den Eindruck erwecken, als stünde den Christen in Europa eine regelrechte Verfolgung bevor. Natürlich nicht. Doch auch eine Diskrminierung ist schon schlimm genug.

Wie hoch ist die Zahl der verfolgten Christen weltweit?

Murdoch: Statistiken sind eine Wissenschaft für sich. Es gibt bedauerlicherweise keine Institution, die hier gesicherte Daten erhebt. Oft hört man die Zahl um 160.000 Christen, die jährlich sterben müssen, weil sie Christen sind, so David B. Barrett in dem entstehenden Werk "World Christian Encyclopedia". Hier sind allerdings auch all diejenigen mitgezählt, die in kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen christlich geprägten Bevölkerungsgruppierungen und religiös anders geprägten sterben - etwa im Sudan, wo, wie oben schon erwähnt, die Auseinandersetzung nicht allein religiös begründet ist, oder etwa in Nigeria oder auf Osttimor. Dokumentierte Fälle von "gezielt" getöteten Christen, wie kürzlich die Enthauptung von vier christlichen Schulmädchen auf dem Weg zur Schule in Poso im afrikanischen Sulawesi, gibt es nur wenige. Wir gehen davon aus, daß es weltweit eine fünfstellige Zahl ist.

 

Dr. Paul Murdoch ist Leiter des Arbeitskreises Religionsfreiheit der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA), einer der zentralen Informationsstellen zum Thema Christenverfolgung in aller Welt in Deutschland. Der Gemeindepfarrer in Hohenhaslach-Sachsenheim bei Stuttgart war lange Jahre im Missionsdienst in Finnland, Pakistan und Mikronesien tätig. Geboren wurde der Kana-dier 1952 in Glendale/Kalifornien.

Evangelische Allianz: 1846 in London gegründet, vereinigt sie weltweit rund zwei Millionen Christen in 80 Ländern. Sie ist damit der am längsten bestehende Zusammenschluß evangelisch gesinnter Christen verschiedener Gemeinde- und Gruppenzugehörigkeit. In Deutschland gehören sowohl EKD-Mitglieder wie auch Freikirchler der als konservativ geltenden Allianz an. Im Gegensatz zur EKD widmet sie sich intensiv auch dem Thema der weltweiten Unterdrückung von Christen, gibt dazu einen regelmäßigen, kostenlosen Rundbrief und jährlich "Märtyrer - das Jahrbuch zur Christenverfolgung heute" (Idea) heraus.

Kontakt und Information: Esplanade 5-10a, 07422 Bad Blankenburg, Tel: 03 67 41 / 24 24, Internet: www.ead.de

Foto: Antichristliche Proteste in Indien: "Nicht nur der Islam, auch Hinduismus und Buddhismus machen uns große Sorgen"

 

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