© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/06 10. März 2006

Die Woche
Verständnisloses Kopfschütteln
Fritz Schenk

An Werbung hatte es nicht gefehlt. Alle Medien hatten den Fernseh-Zweiteiler über den Untergang Dresdens, den das ZDF am vergangenen Sonntag und Montag gezeigt hat, ausreichend angekündigt und entsprechende Neugier erzeugt. Man durfte gespannt sein. Die hohen Einschaltquoten bewiesen schließlich, daß die Zuschauer angemessen reagiert hatten. Mit dem Echo können die Produzenten und das ZDF zufrieden sein.

Doch es ist das Echo jener Publizisten, die heute im Berufsleben stehen und daher zur Generation der Nachkommen dieser Katastrophe gehören. Wer das Inferno miterlebt und glücklich überlebt hat, dürfte das anders sehen. Meine Frau hat es genau dort überstanden, wo der Film hauptsächlich spielte: im Dresdener Südwesten. So erzeugte der zweite Teil mit dem Inferno jenen Wiedererlebenseffekt, der filmisch überhaupt denkbar und möglich ist. Daß dies den Produzenten (ohne die heute üblichen Hollywood-Animationen mit fast ausschließlich technischen Tricks) gelang, dafür gebührt ihnen uneingeschränkte Anerkennung, die Schauspieler und Komparsen eingeschlossen.

Warum aber die absolut unrealistische Rahmenhandlung? Die Familie eines Klinikdirektors, dessen Tochter als Operationsschwester vor der Verlobung mit seinem Oberarzt steht, in einem Villenviertel lebend, in dessen riesigem Haus auch im Februar 1945 noch nichts von "Einquartierung" durch Ausgebombte und ins Hinterland transportierte Familien des äußersten Westens und Ostens (wo bereits gekämpft wurde) zu spüren gewesen sein soll?

Gerade Dresden ist damals voll gewesen von diesen heimatlichen Kriegsopfern, und die örtlichen Funktionäre waren nicht zimperlich mit der Beschlagnahme von Unterkünften und entsprechenden Zwangseinweisungen. Und dann gab es nicht die Flüchlingstrecks mit Hand- und Pferdewagen über die Augustusbrücke Richtung Innenstadt. Die wurden von den Sicherheitskräften über Landstraßen in die Dörfer umgeleitet. Schließlich die hanebüchene Liebesgeschichte zwischen dem abgestürzten Bomberpiloten der Royal Airforce und der Arzttochter. Warum sich der aus dem Anhaltischen ausgerechnet Richtung Osten, nach Dresden, und nicht Richtung Westen durchgeschlagen hat, wo doch seine Truppen schon vor Aachen standen, wissen wohl nur die Autoren.

Den Gipfel aber setzte die Arztgeschichte mit dem Versuch, mit hinterzogenen und gehorteten Morphiumampullen und Schwarzgeld es noch im Februar 1945 und mit Hilfe des Gauleiteradjutanten in die Schweiz schaffen und sich dort eine neue Existenz aufbauen zu wollen. Von dem Rumpelkeller in der Klinik ganz zu schweigen, in der es aussah wie bei Hempels unterm Sofa, während zu dieser Zeit schon jedes Eckchen der Klinik-Keller mit Notbetten zugestellt war. Nein - als im Film das Bombeninferno begann, war bei meiner Frau jedes Gefühl für das Wiedererleben der Tragödie gestorben und hatte verständnislosem Kopfschütteln Platz gemacht.

Quintessenz: Die verunglückte Story ist nicht den Autoren des Films anzulasten. Sie ist das Produkt von vierzig Jahren verbogenen deutschen Geschichtsunterrichts. Sie wissen's halt nicht besser. Sie ist aber vor allem Ausweis der fehlenden redaktionellen Führung unserer heutigen Fernseh-Oberen, welche eine solche Geschichte nicht hätten durchgehen lassen dürfen.


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