© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/06 10. März 2006

Warten auf Herakles
Bundesregierung: Auch unter Finanzminister Peer Steinbrück zeichnet sich kein Befreiungsschlag in der deutschen Haushaltspolitik ab
Klaus Peter Krause

Auch Peer Steinbrück (SPD) hat mittlerweile seine ersten hundert Tage im Amt des Bundesfinanzministers hinter sich. Was er vorfand, als er es antrat, gleicht einem nächtlichen Alptraum, nur ist dies kein Traum, sondern dauerhafte Wirklichkeit: Die Zinszahlungen für Schulden sind doppelt so hoch wie die Ausgaben für Investitionen und im Haushalt die zweitgrößte Position; Sozialleistungen und soziale Sicherung verschlingen schon die Hälfte des Budgets; dieses Budget ist zu einem Fünftel durch Einnahmen nicht gedeckt, gestopft werden muß die Lücke mit weiteren Schulden.

Bei Steinbrücks Antritt klaffte im Bundeshaushalt für 2006 zwischen den laufenden Einnahmen und Ausgaben eine Lücke von rund 60 Milliarden Euro, immerhin 23 Prozent der geplanten Ausgaben. Dieses sogenannte strukturelle Defizit weitet sich seit Jahren aus. Gedeckt wird es durch neue Kreditaufnahmen. So erklimmt, weil die Möglichkeiten zu höheren Steuern, Privatisierungserlösen und Forderungsverkäufen begrenzt sind und weil Ausgabenkürzungen als politisch zu gefährlich gelten, auch die Staatsverschuldung immer neue Höhen. An solchermaßen aufgelaufenen Bundesschulden fand Steinbrück 888 Milliarden vor.

Über die wirkliche Schuldenlast spricht er nicht

Aber das sind nur die ausgewiesenen, die Schulden. Das Mehrfache davon ergeben die Verpflichtungen aus Altersversorgungsansprüchen von Beamten und anderen öffentlich Bediensteten sowie die Altlasten von Post und Bahn. Private Unternehmen müssen für solche Ansprüche Rückstellungen bilden, der Staat tut es nicht, und es ist längst abzusehen, daß er diese Ansprüche dereinst nicht erfüllen kann. Steinbrück wird es dann als Finanzminister nicht mehr geben, und so spricht auch er wie die übrigen Finanzpolitiker über die tatsächliche Schuldenlast nicht. Wir kennen das als Nach-mir-die-Sintflut-Haltung. Er will (und muß) zunächst im laufenden Jahr und dann im Rest der Legislaturperiode über die Runden kommen.

Zu einem wirklichen Befreiungsschlag hat er nicht angesetzt. Der wäre: erstens die Ausgaben kürzen, wo immer geboten und rechtlich und rechtsstaatlich möglich, aber nicht die für Investitionen, und zweitens auf höhere Steuern verzichten. Das zu tun, ist, man muß es einräumen, gewiß eine Aufgabe wie das Ausmisten des Augias-Stalles durch Herakles. Aber ein Herakles ist Steinbrück nicht. Und ein anderer wohl ebenfalls nicht.

Die geplante Neuverschuldung will Steinbrück immerhin nach unten korrigieren. Sie solle klar unter 40 Milliarden liegen. Das Staatsdefizit dürfe 2006 nicht höher sein als 2005. Er will die Nettokreditaufnahme auf 38,2 bis 38,4 Milliarden begrenzen. Das ist zwar weniger als die 41 Milliarden, mit denen SPD und Union während der Koalitionsverhandlungen gerechnet hatten, aber mehr als 2005, als der Bund 31 Milliarden neue Kredite aufgenommen hat. Damit hat Steinbrück sein Ziel, das Defizit dürfe nicht höher sein als 2005, schon verfehlt. Trotz aller Sparbeteuerungen erhöht die Koalition ihre Ausgaben 2006 gegenüber 2005 um 2,9 Prozent auf knapp 262 Milliarden.

Schon gut zwei Wochen nach seinem Amtsantritt hatte Steinbrück unverhofft eine zusätzliche Last von 3,5 Milliarden Euro zu schultern: den Anteil des Bundes an den Wohn- und Heizkosten der Langzeit-Arbeitslosen aus 2006. Auch unterliegt Steinbrück den Zwängen des EU-Stabilitätspaktes. Er hat zwar offen bekundet, daß er es für aussichtslos hält, die Nettokreditaufnahme bis zum Ende der Legislaturperiode auf Null zu reduzieren, aber doch zum Vorrang erklärt, den EU-Stabilitätspakt 2007 wieder einzuhalten. 2006 verletzt ihn Deutschland zum fünften Mal hintereinander. Anfangs hatte Steinbrück versucht, mit argumentativen Taschenspielertricks die EU-Kommission zu veranlassen, das Defizitverfahren gegen Deutschland nicht zu verschärfen. Aber die Kommission hat es verschärft, und damit steht Deutschland jetzt auf der gleichen Verfahrensstufe wie Griechenland.

Für 2006 rechnet Steinbrücks Ministerium mit einem Staatsdefizit von rund 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und für 2007 mit rund 2,5 Prozent. Auch Steinbrück kann sich nicht von der Verteilungspolitik des hierzulande herrschenden Sozialdemokratismus lösen, die sich damit die Lobbyisten scharenweise an den Hals holt. Trotz der katastrophalen Finanzlage unterstützt er ein "Wachstums- und Beschäftigungspaket". 25 Milliarden sind dafür eingesetzt. Betreuungskosten für Kinder und Pflegebedürftige sowie Handwerkerrechnungen sollen steuerlich absetzbar sein und die Abschreibungen für bewegliche Wirtschaftsgüter verbessert werden. Bis 2010 ergeben sich daraus Steuerausfälle von fast 13 Milliarden Euro.

Erleichterung dafür mag die jüngste Berechnung des Ministeriums verschaffen, wonach die Steuereinnahmen bis 2009 gegenüber der Steuerschätzung im November 2005 deutlich höher ausfallen werden, und zwar für Bund, Länder und Gemeinden um zusätzlich 82,2 Milliarden. Aber die wollen erst noch eingenommen sein. Privatisierungen (Verkauf von Beteiligungen) will Steinbrück fortsetzen, aber das Potential ist erheblich geschrumpft; so viele Schätze sind nicht mehr zu heben. Bis 2009 sind 50 Milliarden Erlöse geplant.

Dicke Mehreinnahmen soll die angekündigte Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19 Prozent bringen. Das ist Angela Merkels Werk; sie allein hatte sie vor der Wahl angekündigt. Aber jetzt machen alle, die an des Bürgers Geld wollen, dankbar mit. Das soll aber erst 2007 geschehen. Das Ziel dabei: durch vorgezogene Käufe der Bürger 2006 mehr Wachstum zu erreichen. Aber die Folge wird ein Einbruch 2007 sein. Gezündet wird also nur ein Strohfeuer, das 2007 wieder erloschen sein und einem Absatzeinbruch den Weg gebahnt haben wird.

Wie überhaupt soll sich ein nachhaltiger Aufschwung ergeben, wenn die Regierung zwar einerseits mit 25 Milliarden Beschäftigung und Wachstum voranbringen will, aber im gleichen Zeitraum bei den Bürgern über die höhere Mehrwertsteuer 150 Milliarden Zahlungsfähigkeit abschöpft? Höhere Steuern drücken das Wachstum, und das wiederum führt zu Steuerausfällen. Dabei ist das Wachstum der Wirtschaft schon dürftig genug. Deshalb müssen Ausgabenkürzungen absoluten Vorrang haben. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft ist in seinem jüngsten Subventionsbericht der Ansicht, daß sich die öffentlichen Kassen auch ohne Steuererhöhungen konsolidieren lassen.

"Wir haben ein Einnahmenproblem"

Anders immerhin als Müntefering will Steinbrück den bisher üblichen Ausweg "Bundeszuschuß zur RV als Notventil" verstopfen. Auch hat er (vorläufig) erreicht, daß der Zuschuß an die Krankenkassen bis 2008 komplett gestrichen wird. Bei der Arbeitslosenversicherung ist im Haushaltsbegleitgesetz geregelt, daß die Bundesagentur für Arbeit zum Überbrücken von Finanzierungsengpässen künftig keine Zuschüsse mehr erhält, sondern nur noch Darlehen. Die herkömmlichen Sozialausgaben sollen künftig nicht höher ausfallen als derzeit. Steinbrück will diesen Block konstant halten, um mittelfristig den Anteil der "zukunftsorientierten" Ausgaben erhöhen zu können. Doch offen ist, was für Ausgaben er damit genau meint.

Eine Bemerkung Steinbrücks hat sich eingeprägt: "Wir haben kein Ausga- ben-, sondern ein Einnahmenproblem." In der Tat, wenn man stets mehr verteilen will und ausgibt als man hat, ist das immer so und unausweichlich. Aber die Ausgaben müssen den Einnahmen angepaßt werden, nicht umgekehrt. Aber Steinbrück hat auch gesagt: "Wir finanzieren zuviel Vergangenheit und zuwenig Zukunft." Wie wahr, doch ändern wird sich daran auf lange Zeit leider nichts, auch mit Steinbrück nicht.

Foto: Peer Steinbrück (SPD): Verbreitete Nach-mir-die-Sintflut-Haltung


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