© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/06 17. März 2006

Paragraph 218 im Visier
Spätabtreibungen: Lebensschützer dringen auf schärfere gesetzliche Bestimmungen / Keine Einigung zwischen Union und SPD
Peter Müller

Wie die meisten deutschen Regierungen vor ihr, wird auch die Große Koalition nicht um eine Debatte um den umstrittenen Abtreibungs-Paragraphen 218a des Strafgesetzbuches herumkommen. In der aktuellen Diskussion geht es vor allem um die sogenannte Spätabtreibung. Eine solche Abtreibung ist nach derzeitiger Gesetzeslage bis zur Geburt möglich, wenn zu erwarten ist, daß es für die werdende Mutter durch die Schwangerschaft zu einer Lebens- oder Gesundheitsgefahr kommt, oder eine schwerwiegende Gefahr, das heißt eine über das mit der Schwangerschaft verbundene Maß hinausgehende körperliche oder seelische Belastung, eintritt.

Hohes Risiko einer Lebendgeburt

Dies ist in der Praxis vor allem dann der Fall, wenn schwere körperliche oder geistige Behinderungen bei dem Kind zu erwarten sind. Besonders gegen diese Art der Abtreibung richtet sich der Widerstand von Interessenverbänden wie der Aktion Lebensrecht für alle e.V. (ALfA), deren Vorsitzende Claudia Kaminski einen Appell an die Bundesregierung richtet, in dem sie sich gegen das "schwere Unrecht, das Jahr für Jahr an mehreren hundert ungeborenen Kindern begangen wird, die vielfach längst außerhalb des Mutterleibs lebensfähig sind" wendet.

Laut Schätzungen betrug die Anzahl der Spätabtreibungen im Jahr 2005 rund 800 und ist damit verhältnismäßig klein in Relation zu der Gesamtabtreibungszahl von 124.000. Aber gerade die Spätabtreibungen bergen aufgrund der fortgeschrittenen Schwangerschaft das hohe Risiko einer Lebendgeburt und sind damit besonders umstritten.

Die entscheidende Frage für die Spätabtreibung ist, welche Beeinträchtigung ausreicht, um eine solch starke seelische Belastung bei der Mutter hervorzurufen, daß ein Abbruch gerechtfertigt ist. Diese Frage wird im Wege einer sozial-medizinischen Indikation geklärt, in der im Zusammenhang mit einer Gesamtwürdigung beurteilt wird, ob durch die Abtreibung die konkreten Gefahren für die werdende Mutter abgewendet werden können. Aufgrund dieser Unbestimmtheit sehen nun nicht nur Lebensschutzverbände Handlungsbedarf.

Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang ist auch die Haftung des Arztes, der bei falscher Diagnose und einer darauf zurückzuführenden Geburt eines behinderten, unerwünschten Kindes schadensersatzpflichtig wird und folglich aus eigenem Interesse bei zweifelhafter Sachlage eher zu einem Abbruch raten wird.Wie sich zeigt, bringt die momentane Gesetzeslage nicht die gebotene Klärung, sie erweitert eher die Möglichkeit erlaubter Eingriffe zu Lasten des Lebensschutzes.

Die Union will daher sowohl die ärztliche Haftungsfrage neu geregelt wissen, als auch eine 22-Wochen-Abtreibungsfrist für diesen Tatbestand, sowie eine ärztliche Beratung und eine zwingende Bedenkzeit zwischen Befund und Abtreibung von mindestens drei Tagen einführen. Dabei verkennt sie allerdings, daß dadurch die Zahl der Panikabbrüche in den ersten Wochen der Schwangerschaft vermutlich steigen wird, um sich als werdende Mutter vor den möglichen strafrechtlichen Folgen einer späteren Abtreibung zu schützen.

Die SPD lehnt diese Einschränkungen strikt ab und möchte lediglich die Beratungsmöglichkeiten verbessern, so die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Nicolette Kressl (SPD). Die momentane Initiative zur Gesetzesänderung hält Kaminski daher zwar für "hoffnungsvoll", aber nicht für eine Lösung des Gesamtproblems und fordert daher besonders die Sozialdemokraten auf, nicht länger die Augen vor dem Unrecht der Spätabtreibung zu verschließen, sondern mitzuhelfen, die geltenden gesetzlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch zu korrigieren.Damit es nicht zur Normalität wird, eine "Schwangerschaft auf Probe" zu durchleben, bei der das Ungeborene bis zur Geburt mehrere "Qualitätskontrollen" durchlaufen muß und jederzeit mit der Begründung der psychischen Überbelastung der Mutter abgetrieben werden kann, ist eine Einigung im Sinne des ungeborenen Lebens dringend geboten.

Foto: Kaminski: Appell an die Koalition


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