© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/06 17. März 2006

Die Woche
Ein rein politischer Streik
Fritz Schenk

Daß es in der Tarifauseinandersetzung zwischen der Gewerkschaft Verdi und den öffentlichen Arbeitgebern noch um wirtschaftliche Belange zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern geht, vermag niemand mehr der Bevölkerung zu erklären. Zwischen den politischen Fronten herrscht Krieg - Krieg um Sein oder Nichtsein der Kontrahenten. Und zwar zwischen dem Verdi-Vorsitzenden Frank Bsirske auf der einen und dem Verhandlungsführer der Länder, dem niedersächsischen Finanzminister Hartmut Möllring (CDU), auf der anderen Seite.

Der Verhandlungsgegenstand: Heraufsetzung der Tagesarbeitszeit um 18 Minuten - was noch nicht einmal volle Angleichung an die längere Arbeitszeit des Öffentlichen Dienstes in den neuen Ländern bedeutet - kann, angesichts der Finanzmisere aller öffentlichen Körperschaften, von keinem vernünftigen Menschen für so unzumutbar angesehen werden, daß deshalb die betroffenen Bürger in Müllbergen ersticken müßten. Bleibt deshalb zu fragen, was den Verdi-Vorstand zu seinem Vabanquespiel treibt. Als einfachste Antwort darauf bietet sich die Vermutung an, daß dem einstigen Jung-Achtundsechziger, früheren Juso-Aktivisten und dann zu den Grünen gewechselten Berufsfunktionär Bsirske seit dem Machtwechsel zur Großen Koalition die gesamte Richtung nicht mehr paßt. Also soll es den in Berlin wie in den Ländern dominierenden Schwarz-Roten endlich einmal gezeigt werden.

Damit ist der Streik zu einem rein politischen Machtkampf geworden. Das weckt Erinnerungen an ähnliche Polit-Manöver und reizt zu der Frage, wozu sie in der deutschen Wirklichkeit geführt haben. Nicht vergessen ist die Auseinandersetzung zwischen der Verdi-Vorgängerin ÖTV mit ihrem übergewichtigen Vorsitzenden Heinz Klunker und der Regierung von Bundeskanzler Willy Brandt 1974, von der viele überzeugt sind, daß sie ganz wesentlich zum politischen Ende des hoch gelobten "Entspannungskanzlers" beigetragen hat.

Eine noch viel schlimmere Nachwirkung hatte der Streik der Berliner Verkehrsbetriebe vom Sommer 1932. Damals machten die Nationalsozialisten unter Joseph Goebbels mit den Kommunisten Walter Ulbrichts gemeinsame Sache, was schließlich sogar zum Sturz der preußischen Regierung unter dem Sozialdemokraten Otto Braun führte, dessen Nachfolger übrigens Hermann Göring wurde, und den Untergang der Weimarer Demokratie einläutete.

Dazu wird es nicht noch einmal kommen. Aber die Frage muß doch wohl erlaubt sein, was solche Streiks heute noch für einen Sinn haben, wen sie wirklich treffen - die öffentlichen Arbeitgeber so wenig wie in der übrigen Wirtschaft die Unternehmensvorstände - und wem sie nützen? Wenn die Müllfahrer und Straßenreiniger nach Ende dieses Manövers mit spitzem Stift nachrechnen, werden sie feststellen, daß sie selber - wie wir Steuerzahler - mit einem dicken Minus abschneiden. Deshalb ist es an der Zeit, die Überlegungen zu forcieren, das Tarifrecht so zu reformieren, daß es nach dorthin verlagert wird, wo es in unserer Zeit längst hingehört: in die Unternehmen, zu Belegschaften und Betriebsleitungen. Die Gewerkschaften vertreten ohnehin nur noch eine Minderheit organisierter Arbeitnehmer. Ihre Führer sollten sich nicht länger den Grundprinzipien der modernen Sozialpartnerschaft widersetzen.


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