© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/06 17. März 2006

Verklärter Volksheld
Serbien: Der frühere Präsident Slobodan Milosevic ist in seiner Gefängniszelle in Den Haag verstorben / Die Probleme des Landes bleiben bestehen
Wulf Brocke / Jörg Fischer

Letzten Samstag, nur drei Stunden nach der Meldung über den Tod von Slobodan Milosevic, kondolierte der serbische Präsident Boris Tadic der in Moskau lebenden Familie seines Amtsvorgängers. Zugleich übermittelte er der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) sein Beileid. Die bei den Parlamentswahlen 2003 auf 7,5 Prozent abgestürzte postkommunistische SPS verbreitete umgehend, ihr Ex-Chef sei in Den Haag systematisch umgebracht worden, nachdem er erfolgreich die serbische Nation verteidigt habe. Die Serbische Radikale Partei (SRP), die mit ihrem ultranationalistischen Programm zur stärksten Kraft avancierte, äußerte: Milosevic sei getötet worden - mit Hilfe heimischer Verräter.

Hinter der schnellen Reaktion des liberalen Tadic steckt politisches Kalkül. Denn ein Großteil der Serben fühlt sich immer noch als Opfer westlicher Aggression und albanischer "UÇK-Terroristen". Daß der zunächst für die "abtrünnigen" Kroaten und dann für die UÇK kämpfende General Agim Çeku nun Regierungschef im nach Unabhängigkeit strebenden Kosovo werden soll, macht die serbische Gefühlslage nicht einfacher - ebenso wie die unbefriedigende Wirtschaftslage und die geplante Loslösung Montenegros.

Am 20. August 1941 im serbischen Passarowitz (Pozarevac) als Sohn eines serbisch-orthodoxen Popen geboren, wurde er schon mit 18 Jahren KP-Mitglied. Obwohl seine Eltern Montenegriner waren, verkörperte er für viele das Serbische schlechthin. Daß Milosevic für den Tod und die Vertreibung von Hunderttausenden mitverantwortlich war, will man nicht wahrhaben. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag wird als einseitig betrachtet, weil andere Akteure des Balkankriegs bislang ungeschoren blieben.

Von 1978 bis 1983 war Milosevic Direktor der Beogradska Banka und zeitweise in New York tätig, wo er sein Englisch perfektionierte. 1984 begann seine Politikerkarriere als KP-Chef von Belgrad, 1987 stieg er zum serbischen KP-Chef auf. 1989 wurde er Präsident Serbiens und 1990 bei den ersten freien Wahlen triumphal im Amt bestätigt.

Die Unabhängigkeitserklärungen von Kroatien und Slowenien 1991 leiteten den Zerfall des von Serben beherrschten jugoslawischen Vielvölkerstaates ein. Die seit Jahrhunderten serbisch besiedelte Krajina blieb bei Kroatien. Der Bosnienkrieg endete mit dem Dayton-Abkommen, das 1995 von Milosevic, dem kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman und dem bosnischen Präsidenten Alija Izetbegovic in Paris unterzeichnet wurde. Es gewährte Bosnien-Herzegowina die Eigenstaatlichkeit als Konföderation - in den Grenzen aus Tito-Zeiten. Die dortige Serbenrepublik (Republika Srpska) durfte sich nicht mit dem "Mutterland" vereinen.

In Dayton war Milosevic noch ein hofierter Verhandlungspartner von Bill Clintons Chefunterhändler Richard Holbrooke - mit dem Beginn des Kosovo-Konflikts änderte sich dies. Die Kosovo-Frage schwelte, seitdem Belgrad 1989 die 1974 von Tito gewährte Autonomie der Provinz aufgehoben hatte.

Die 1389 gegen die Osmanen verlorene Schlacht auf dem Amselfeld gilt den Serben als Fanal, ihre Identität und ihre Gebiete notfalls mit kriegerischen Mitteln zu bewahren. Nur so ist das umstrittene Sanu-Memorandum zur Lage der serbischen Nation von 1986 und die Amselfeld-Rede von Milosevic 1989 überhaupt zu erklären.

Um Serbien in der Kosovo-Frage zum Einlenken zu bewegen, bombardierte die Nato im Frühjahr 1999 wochenlang Ziele in Serbien. Die völkerrechtliche Legitimität des Angriffs ohne Uno-Mandat, der Tausende Opfer forderte, ist umstritten. Der militärische Erfolg ist fraglich, die serbische Armee wurde kaum geschwächt. Milosevic stimmte wohl auf russische Intervention hin zu, das Kosovo der Uno zu unterstellen.

2000 verlor die SPS die Parlamentswahl und Milosevic das Präsidentenamt an Vojislav Kostunica. Die vom Westen unterstützte Studentenbewegung "Otpor" (Widerstand) und die katastrophale soziale Lage bewirkten sein politisches Ende. Mit Hilfe des später ermordeten Premiers Zoran Djindjic wurde Milosevic 2001 nach Den Haag ausgeliefert. Nach 466 Verhandlungstagen und 295 Zeugenvernehmungen zu 66 Anklagepunkten endete der ICTY-Prozeß vorzeitig durch den Tod Milosevics.

Ob Serbien angesichts der ungeklärten Todesumstände und des Gezerres um seine Beisetzung zur Ruhe kommt, ist fraglich - eine neuen Legenden- und Mythenbildung hingegen wahrscheinlich. Der Weg vom führenden Volk in Jugoslawien zum Volk in einem kleinen Staat mit ungelösten Diaspora-Problemen ist für die meisten Serben, die sich als christliches Bollwerk gegen den Islam ansehen, schwer verkraftbar.

Foto: Milosevic im März 2001 kurz vor seiner Verhaftung in Belgrad: Ein neuer Mythos für den Balkan


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