© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/06 17. März 2006

Stabilität statt Freiheit
Weißrußland: Die Wiederwahl von Präsident Alexander Lukaschenko steht schon fest / Krieg gegen unabhängige Medien / "Orangene Revolution" unwahrscheinlich
Tatjana Montik

Nach dem Zerfall der Sowjetunion ist Belarus seinem russischen Nachbarn immer einen Schritt voraus, allerdings nur in einem Bereich - beim Abbau der Demokratie und der Errichtung einer Diktatur", sagte die Journalistin einer unabhängigen Zeitung in Weißrußland, die ihren Namen nicht nennen möchte, gegenüber JF. Ihre Angst ist nicht unbegründet, denn in dem EU-Nachbarland "verschwinden" regelmäßig Regimekritiker oder sie werden für ihnen angedichtete Verbrechen ins Gefängnis gesteckt.

Und in der Tat hat Präsident Alexander Lukaschenko nie einen Hehl daraus gemacht, was er unter einer präsidialen "Republik Belarus" versteht. Der 51jährige Ex-Direktor eines sowjetischen Staatsgutes (Sowchose), der mittlerweile in den USA und der EU zur unerwünschten Person erklärt wurde, will sich am 19. März zum zweiten Mal wiederwählen lassen - dank eines umstrittenen Referendums von 2004, das ihm eine unbeschränkte Amtszeit ermöglicht. Die Frage ist nur, wie hoch der "Wahlsieg" ausfallen wird - denn selbst westliche Analysten sehen derzeit eine Mehrheit hinter dem "Batka" (Papa) stehen.

"Wirtschaftswunder" dank russischem Öl und Gas

Weißrußland rühmt sich, "die letzte Ruhe- und Wohlstandsinsel Europas" zu sein - und zumindest verglichen mit anderen Ex-Sowjetrepubliken wie Moldawien ist das sicherlich nicht ganz falsch. Doch das staatliche "weißrussische Wirtschaftswunder" und Sozialleistungen wie Mindestlohn und Grundrente beruhen ausschließlich auf der Gunst des Kremls: auf den billigen Gas- und Öllieferungen aus Rußland, der Hochkonjunktur auf dem Markt der Ölverarbeitungsprodukte, die in den Westen verkauft werden, und den günstigen Handelsbedingungen, die Weißrußland auf dem russischen Markt gewährt werden. Den freien Medien, die über all das und vieles mehr berichten, hat das Regime in Minsk einen totalen Krieg erklärt.

1994 sah zunächst alles ganz anders aus. Lukaschenko, damals energischer Vorsitzender des Anti-Korruptionsausschusses des Parlamentes, ging aus den ersten freien Präsidentschaftswahlen als Sieger hervor. Daß die Anschuldigungen gegen seinen Widersacher, Ex-Parlamentspräsident Stanislau Schuschkewitsch, falsch waren, stellte sich erst später heraus. Zwei Jahre später bekommen dann die unabhängigen Medien zu spüren, daß die Luft um sie herum immer dünner wird: Die Medienzensur nimmt von Jahr zu Jahr zu, viele unabhängige Zeitungen wurden geschlossen - aufgrund von angeblicher Präsidentenverleumdung oder "Finanzvergehen".

Die Zeit vor der Parlamentswahl 2001 (nach der im weißrussischen Parlament kein Oppositionspolitiker mehr Platz fand), wurde zur zweiten Phase der Repression. Nicht einmal ein Dutzend unabhängiger Überregionalzeitungen überlebte. Eine Finanzierung durch ausländische Stiftungen oder aus Werbeeinnahmen wurde sowohl den Nichtregierungsorganisationen (NGO) als auch der Presse untersagt. Werbeträger, die heute in einer unabhängigen Zeitung eine Anzeige plazieren, riskieren, ihre Existenz zu ruinieren.

Anfang dieses Jahres wurden die letzten überregionalen Zeitungen Weißrußlands, Narodnaja Wolja, Salidarnasz und Zhoda, aus dem Verkauf über die staatliche Kioskkette "Sojuspetschat" und von der Zustellung auf dem Postwege ausgenommen. Die unabhängigen Medien werden schikanösen Finanzkontrollen unterworfen. Staatliche Druckereien weigern sich, unabhängige Zeitungen zu drucken, weil sie Angst vor Verfolgungen haben. Die mit einer Auflage von 30.000 Exemplaren größte unabhängige Zeitung Narodnaja Wolja muß daher im russischen Smolensk gedruckt werden. Die früher täglich erschienene Belorusskaja Delowaja Gazeta mußte sich wegen der Schwierigkeiten in eine Wochenzeitung umwandeln. Zwischen 1994 und 2006 sank die Auflage der regimekritischen Wochenzeitung Zhoda von 50.000 auf 5.000. Laut Angaben der unabhängigen Assoziation der weißrussischen Journalisten (BAJ) entfallen auf die Zehn-Millionen-Bevölkerung nur etwa 250.000 Exemplare unabhängiger Zeitungen.

Zeitungsmachen als unternehmerisches Projekt sei in Weißrußland längst gestorben, meint Zhoda-Chefredakteur Alexej Korol. Die unabhängige Presse existiere in Weißrußland als reines Informationsprojekt, das unter den gegebenen Umständen dennoch die größten Chancen hat, die Menschen zu erreichen: denn nur 18 Prozent der Bevölkerung verfügen über einen Internet-Zugang, so Korol. Ausländische Sender können viele nicht empfangen.

Verschwundene Journalisten und willige Propagandisten

Und die Journalisten der unabhängigen Medien wissen sich in ständiger Lebensgefahr. Im Jahre 2000 "verschwand" der Fernsehjournalist Dmitrij Sawadskij, der in Minsk für den regimekritischen russischen Sender ORT arbeitete - er kam von einer Fahrt zum Minsker Flughafen, wo er einen Freund abholen wollte, nie nach Hause. Seine Witwe Swetlana weiß bis heute nicht, wo der Leichnam ihres Mannes zu finden ist. Die Journalistin Veronika Tscherkessowa und ihr Kollege Wassil Hrodnikau wurden gefunden - tot in ihren Wohnungen, und große häßliche Blutspuren an den Wänden. Die Untersuchungsrichter nannten es "Raubüberfall" und "Haushaltsunfall". Journalistenkollegen, die unabhängige Ermittlungen durchführten, glauben, daß es sich um bestellte Morde handelte.

Wer hingegen voll "auf Linie" mit Präsident und Regierung ist (oder so tut) und die staatliche Propaganda-Maschinerie bedient, der wird mit überdurchschnittlichen Gehältern beloht - egal ob junger Studienabsolvent, Seiteneinsteiger oder arbeitsloser Journalist von den einst unabhängigen Medien. Während das Einkommen eines Journalisten einer freien Zeitung unter dem landesüblichen Durchschnittgehalt von 180 Euro liegt, bekommt beispielsweise ein regionaler Berichterstatter der staatlichen Zeitung Zwjazda 450 Euro monatlich. Die Spitzengehälter im Staatsfernsehen betragen ein Mehrfaches. Zum sicheren Arbeitsplatz kommt eventuell sogar eine vom Staat geschenkte Eigentumswohnung hinzu.

Doch alles hat seinen Preis: "Meine Kollegen in den staatlichen Medien müssen vor allem die Idee der sogenannten Stabilität verallgegenwärtigen", erklärt Schanna Litwina, Vorsitzende des unabhängigen Journalistenverbandes BAJ. "Sie müssen erzählen: alles in der Welt berge für Weißrußland potentielle Gefahren, alle europäischen Staaten außer Rußland seien uns feindlich gesonnen. Und trotz all dieser Schwierigkeiten schaffen wir es, in unserem Staate Stabilität, Ordnung und Frieden beizubehalten! Garant dessen sei ein einziger Mensch - unser Präsident".

Und die tägliche Propaganda zeitigt Wirkung, insbesondere bei den Älteren und den wenig Gebildeten: "In Weißrußland können wir uns ohne fremde Hilfe, auch ohne die russische, wunderbar selbständig entwickeln. Doch nur in einem Falle: Wenn Lukaschenko unser Präsident bleibt", glaubt die 70jährige Maria Gussakowskaja aus Soligorsk, einer Satellitenstadt von Minsk. "Falls Lukaschenko abgewählt werden sollte, stehen uns große Katastrophen bevor", fürchtet die Rentnerin und schlägt dabei ein Kreuz. Laut unabhängigen Umfragen würde Lukaschenko landesweit auch ohne eine Wahlfälschung mit über 50 Prozent im Amt bestätigt, nur in Minsk könnte es knapp werden. Eine "orangene Revolution" wie 2005 in der Ukraine ist derzeit unwahrscheinlich.

Angesichts dessen schien es kein großes Risiko, den drei Gegenkandidaten jeweils einen halbstündigen Auftritt im Staatsfernsehen zu gewähren. Dabei machte aber nicht der Einheitskandidat der westlich orientierten Opposition, Alexander Milinkewitsch, den größten Eindruck, sondern der Chef der Sozialdemokraten ("Hramada"), Alexander Kosulin. Die Rede des ehemaligen Rektors der Staatlichen Universität von Minsk wurde daher vor dem Senden im Radio um einige Minuten "gekürzt", und "vorsorglich" wurden auch mehrere Oppositionsaktivisten verhaftet. Kosulin hat inzwischen eine Klage gegen Wahlkommissionschefin Lydia Jermoschina eingereicht, da sie "eine rechtmäßige Durchführung der Wahlkampagne nicht gewährleisten" könne.

Foto: Agitation im Sowjetstil in Minsk: Nur 30 Minuten für die Opposition


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