© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/06 17. März 2006

CD: Klassik
Farbenpracht
Andreas Strittmatter

Wie funktioniert Regietheater? Diese Frage läßt sich trefflich anhand eines Gesprächs mit dem Regisseur Peter Konwitschny über die Oper "Daphne" von Richard Strauss beleuchten, das der Musikjournalist Frank Kämpfer in seine Dokumentation "Musiktheater heute. Peter Konwitschny" übernommen hat. Entstanden ist der Beitrag 1999 im Rahmen von Konwitschnys Essener "Daphne"-Inszenierung. Das Werk selbst, welches Strauss nach durchaus zähem Ringen mit dem Textdichter Joseph Gregor 1938 in Dresden auf die Bühne brachte, reflektiert den Mythos der Verwandlung Daphnes in einen Lorbeerbaum durch die Fürsprache des Apoll - ein Sujet, das seit der ersten Vertonung 1597 durch Jacopo Peri immer wieder die Tonsetzer gereizt hat.

In bester Programmheftmanier werfen sich nun Konwitschny und dessen persönlicher Dauerdramaturg Werner Hintze in Sachen Strauss die Bälle zu: "Beim ersten Mal fand ich die Musik entsetzlich. Beim zweiten Mal das, was sie beschreibt", befand der Regisseur offenbar bereits Mitte der 1990er Jahre. Im Fortgang wird "Daphne" mit einer fast schon bewundernswert sophistischen Argumentation auseinandergenommen, teilweise ins Lächerliche gezogen und tendenziös neu zusammengesetzt. Damit man der Regie und dem Dramaturgen die Tendenz auch abkaufe, wird zudem Sankt Heiner Müller und dessen Diktum vom Werk, welches klüger als der Autor sei, angerufen. Einmal mehr stützt somit der sonst gern geschmähte Autoritätsbeweis die hanebüchen überdehnte Interpretation.

Beispielswegen habe man, so der Regisseur, "bei dieser Musik den Eindruck von Orientierungslosigkeit", die Konwitschny in "seltsamen Modulationen" (als ob das in der musikalischen Faktur von Richard Strauss unerhört und selten wäre!) und "in einer kaum nachvollziehbaren Ornamentik" der Melodie entdeckt haben will - bei letzterem reicht ein Blick in Rodolfo Cellettis "Geschichte des Belcanto", um zu wissen, daß die Ornamentkritik von Konwitschny kalter Kaffee ist.

Selbst wenn Konwitschny mit seiner These der musikalischen Desorientierung recht hätte, so macht ihm doch Semyon Bychkov einen dicken Strich durch die Rechnung, der am Pult seines mit warmem Langspektrum musizierenden Kölner WDR Symphonieorchesters im Rahmen einer noch jungen Einspielung eine Kostprobe seiner Kunst ablegt. Bychkov sucht von der ersten bis zur letzten Note das musikalische Strukturen Verbindende, ohne den Reichtum an Nuancen und Variationen dieser farbenprächtigen Partitur unter den Teppich zu kehren, und läßt das Orchester in einem gewaltigen lyrischen Strom atmen. Selbst in den dramatischen Zuspitzungen bleibt diese Aufnahme einer sinnlichen (oder besser: übersinnlichen?) Klangästhetik rückgebunden.

Zudem sind mit Daphne und Apoll dieser "bukolischen Tragödie" (so der Untertitel) zwei Protagonisten eingeschrieben, die den jeweiligen Interpreten vor höchste Ansprüche stellen - Herausforderungen, denen sich die amerikanische Sopranistin Renée Fleming und der südafrikanische Tenor Johan Botha mit weitgehend fulminanter vokaler Intensität stellen. Dabei schneidet Botha fast noch eine Spur besser ab als seine mit den Farbwerten ihrer Stimme prunkende Kollegin, denn selten vereint ein Strauss-scher Apoll so überzeugend Schmelz, Höhensicherheit, Strahlkraft und Durchhaltevermögen.

Wie verzwackt die großen Tenor-Partien sein können, die Strauss hin und wieder der von ihm wenig geliebten Stimmlage zugedachte - bei Botha ist davon kaum etwas zu hören. Da auch die Nebenrollen den Zielmarken des erwähnten Personals vollauf gerecht werden, ist diese "Daphne" eine hoch erfreuliche Bereicherung im Plattenschrank.


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