© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/06 17. März 2006

Ein Lexikon lebt die Fußballpassion: Einzig, wo der Fußball-Gott wohnt, sagt es nicht
Fußball unser, der du bleibst ...
Christoph Martinkat

Drei Monate vor dem Start der Fußball-WM präsentiert sich Deutschland als alles andere denn als ein freudiger Gastgeber: von wegen, die Welt zu Gast bei Freunden. Eher muß es wohl heißen, willkommen in der Depression. Fehlende Erwerbsarbeit, sinkende Löhne, Geburtenrückgang, Schneechaos und Vogelgrippe. So manch' Ungläubiger ist mittlerweile beim Glauben angekommen, auch mangels Alternativen. Selbst der Fußballgott hält über Deutschlands Elitekicker nicht mehr seine schützende Hand. Jüngst setzte es gar ein schmachvolles 1:4 gegen die Goldkettchenträger aus Bella Italia. So etwas ist freilich alles andere als hilfreich, um fehlendes Nationalbewußtsein circensisch aufzumöbeln.

Tatsache ist, wer ganz ungeniert von einem deutschen WM-Sieg träumt, der lügt aus Berechnung oder meint einfach Gestern, wenn er Heute sagt. Denn Wirtschaftswunder und Wunder von Bern, das war gestern. Ebenso "Bomber" Gert Müller, und auch die Zeiten, als Lothar Matthäus Passion und die deutsche Einheit pure Euphorie waren, sind lange vorbei. Doch für uns Hadernde und von Mühsal Beladene naht unverhofft ein Funke des Lichts: Dieser kommt in Form eines schwarzledernen Taschenbüchleins mit Goldschnitt daher und heißt vielsagend "Fußball unser".

Intelligente Offenbarung des Fußballgottes

Die aufpäppelnde Erbauungsschrift aus der Edition der Süddeutschen Zeitung vereint zwar auf den ersten Blick nicht mehr Anekdotisches, Skurriles und Wissenswertes, als es Dutzende von Fußballbüchern vor ihr taten. Doch bei näherer Betrachtung entpuppt sich der Band als äußerst intelligent gemachtes Lexikon, das die verschiedenartigen Facetten des Phänomens ironisch aufgreift und so ordnet, daß dem geneigten Leser die ganze Offenbarung des Fußballs zuteil wird.

Auf dem Buchdeckel prangt statt des Kreuzes eine Eckfahne, was beileibe nicht blasphemisch gemeint ist. Freilich, das Werk ist in Nummern eingeteilt wie die Bibel in Psalmen. Doch was, bitteschön, soll falsch daran sein? Schließlich bietet der moderne Fußball eine Art Ersatzreligion und ist als solche ebenso offen für falsche Bekenntnisse wie für wahre Leidensgeschichten. Folgerichtig lautet das Motto der Fußball-Bibel: "Ein teuflischer Zeitvertreib ... der Neid, Groll und Bosheit wachsen läßt, und manchmal gar zu Streit, Mord, Totschlag und großem Blutverlust führt." Das klingt etwas holpernd nach Shakespeare. Geschrieben hat es zum archaischen Fußballspiel, einer offenbar äußerst blutigen Angelegenheit, ein Mann namens Philip Stubbes im Jahr 1583.

Nummer 1 des "Fußball unser" ist dann neuzeitlicher betitelt: "Die Mara-donas". Sie führt all jene Spieler auf, die mit dem "unglaublichen Zauberer des Fußballs", der auch mit der "Hand Gottes" Furore machte, verglichen werden, freilich in herabsetzender Weise, so etwa der Alpen-, Karpaten-, Bosporus oder Wüsten-Maradona, deren Namen aus Anstand verschwiegen sein sollen.

Nummer 2 gibt einen Abriß über die Welthauptstadt des Fußballs, das pakistanische Sialkot: Dort werden 80 Prozent der Weltproduktion an Lederbällen abgewickelt, seit 1998 ohne Kinderarbeit. Es folgt eine Liste von Fußballern, die allzugern rauchen, und Aufklärung, wie Fußball auf finnisch oder serbokroatisch heißt. Es geht um Fanclub-Banner, die in keinem Stadion fehlen, und um den Aufbau der Trillerpfeife. Fündig wird man auch zu den 54 Trainerstationen von Rudi Gutendorf, der zuletzt das Frauennationalteam Samoas betreute, zur Jenaer Regel und zur Zusammensetzung der handelsüblichen Stadionwurst.

Fan-Gebet für Trainerlegende und Liste ehrwürdiger Stadien

Es gibt Antwort auf Fragen wie: Wo kann man in London Tischfußball spielen? Welche Teams stürzten mit einem Flugzeug ab? Man erfährt von Beckhams Tätowierungen, von Stadien, die alt bleiben dürfen, von der kleinsten Liga der Welt und Fehlern in der Fußstellung. Es gibt ein Fan-Gebet für Trainerlegende Ernst Happel und berühmt gewordene letzte Worte von Radiokommentatoren.

Vor allem aber verrät das gut sortierte Register des Bandes die wahrhaften Kenner. Diese haben keineswegs phantasielos gelistet, was die Fußballmär alles hergibt, sondern ein unsichtbares Band geknüpft zwischen Normalem und Skurrilem dies- und jenseits des runden Leders. Erst so offenbart sich die wunderbare Welt eines Spiels, das nicht einfach mit dem Schlußpfiff endet. Wenn man an "Fußball unser" überhaupt etwas vermißt, ist es das Stichwort Fußballgott. Doch das macht wenig, schließlich ist er bei der Lektüre anwesend.

Bibel einer Ersatzreligion: Rechtzeitiges "Erscheinen" vor der WM

Fußball unser. Was man nicht alles wissen muß. Von Christian Zaschke, Eduard Augustin, Philipp von Keisenberg. SZ Edition. München 2005. 129 Seiten, Ledereinband, 18 Euro.


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