© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/06 17. März 2006

Frisch gepresst

Erwachender Riese. Als Großadmiral Tirpitz und Reichskanzler Bethmann-Hollweg sich 1916 über den unbeschränkten U-Bootkrieg und die Gefahr, dieser könne den Kriegseintritt der USA provozieren, in die Haare gerieten, war es zu spät. Mit dem politischen und vor allem ökonomischen Potential der "Neuen Welt" hatte man sich in Berlin nie ernsthaft auseinandergesetzt. Gleichwohl war der Aufstieg der imperialistischen Großmacht USA seit deren Raubkrieg gegen Spanien nicht unbeachtet geblieben. Und zwar in einem Ausmaß, das man angesichts der Ratlosigkeit und der Fehleinschätzungen von 1916 nicht vermuten sollte. Dies belegt die fleißige Arbeit von Marek Czaja über "Die USA und ihr Aufstieg zur Weltmacht um die Jahrhundertwende: Die Amerikaperzeption der Parteien im Kaiserreich" (Duncker & Humblot, Berlin 2006, 376 Seiten, 96 Euro). Die Wahrnehmung wurde von zwei Mustern bestimmt: Angst auf der Rechten, Bewunderung auf der Linken, wo Czaja eine paradoxe Bewertung der Sozialdemokratie offenlegt: Dem Kapitalismus der USA konnte die Bebel-Partei durchaus positive Seiten abgewinnen, weil sich hier die Ausbeutung unter republikanischer Herrschaft realisierte.

EU-Wertegemeinschaft. Ob und wie es nach dem Scheitern der Volksabstimmungen über den EU-Verfassungsentwurf mit dem Brüsseler "Projekt" weitergehen soll, ob der Fundus an Gemeinsamkeiten wirklich erschöpft ist, wie jüngst der polnische Präsident in Berlin behauptete und den Blick auf die Zukunft einer besseren Freihandelszone richtete, das sind Fragen, die vielleicht die EU-Bürger schon gar nicht mehr umtreiben. Einzig Politologen und Juristen bietet die ganze Materie noch einen dankbaren Stoff für endlose Planspiele. Dies zeigt der vom 2005 verstorbenen Würzburger Völkerrechtler Dieter Blumenwitz, von Gilbert H. Gornig und Dietrich Murswiek edierte Band über "Die Europäische Union als Wertegemeinschaft" (Duncker & Humblot, Berlin 2006, 312 Seiten, broschiert, 98 Euro). Allerdings weicht diese Aufsatzsammlung vom Üblichen insoweit ab, als ein in der "Wertedebatte" gern unter den Tisch gekehrtes Thema hier einen Schwerpunkt bildet: Blumenwitz selbst analysiert die Benesch-Dekrete im Lichte der tschechischen Beitrittsverhandlungen zur EU, weitere Studien befassen sich mit der "Vertreibung und Enteignung durch Polen" und deren Bedeutung für die aktuelle Rechtslage sowie mit der "Rehabilitierung und Entschädigung der Ungarndeutschen".


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen