© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/06 24. März 2006

Entscheidung im Windschatten Ariel Scharons
Israel: Knessetwahl als Dreikampf zwischen Likud, Kadima und Arbeitspartei / Militäraktion in Jericho kein bloßes Wahlkampfmanöver
Ivan Denes

Seit seinem zweiten schweren Schlaganfall vom 4. Januar liegt Ariel Scha-ron auf der Intensivstation der Jerusalemer Hadassah-Klinik. Seitdem wurde der israelische Ministerpräsident sieben-mal operiert, die Chancen auf Genesung sind äußerst gering. Und erst nach der Knessetwahl am 28. März soll der 78jährige in eine Rehabilitationsklinik verlegt werden. Dennoch spielt der frühere General und Verteidigungsminister im Wahlkampf eine entscheidende Rolle: Die von ihm erst im November 2005 gegründete Kadima-Partei verwendet Aufnahmen des israelischen Kriegshelden in Fernsehwahlspots und auf Plakaten.

Wenige Monate bevor das Schicksal ihn einholte, hat Scharon mit eiserner Hand den Rückzug aus Gaza durchgesetzt und somit eine Rebellion in seiner eigenen Partei, dem 1973 von ihm gegründeten rechtsliberal-konservativen Likud-Block, ausgelöst. Gleichzeitig spaltete sich auch der traditionelle Gegner des Likud, die sozialdemokratische Arbeitspartei (Awoda).

Der zweite alte Mann auf der politischen Bühne des Landes, Schimon Peres, ein halbes Jahrhundert lang tragender Pfeiler der Avoda, verließ mit 82 seine politische Heimat und schloß sich Scharons Kadima ("Vorwärts") an. Die traditionelle Spaltung in "Links" und "Rechts" wurde somit aufgebrochen. Der im Ausland immer noch als "rechter Hardliner" verschriene Scharon erschien sogar bereit, einen Großteil des Westjordanlands ("Westbank") aufzugeben, die endgültigen Grenzen Israels einseitig festzulegen und sie durch den umstrittenen Schutzwall zu sichern.

Niemand zweifelt mehr daran, daß Scharons Kadima nun unter der Führung des amtierenden Premiers, des Jerusalemer Ex-Bürgermeisters Ehud Olmert, als stärkste Partei aus der Wahl hervorgehen wird - mit 37 bis 43 von 120 Knessetsitzen. Mit großem Abstand ringen Awoda und Likud um den zweiten und dritten Platz - mit je 14 bis 19 Sitzen. "Wählt Likud, selbst wenn Ihr ein Problem mit mir persönlich habt", wirbt angesichts solcher Umfragewerte Ex-Premier Benjamin "Bibi" Netanjahu, seit Dezember 2005 Likud-Chef. Auch der neue Awoda-Chef Amir Peretz agiert eher glücklos. Olmerts Wahlziel ist daher eine Koalition mit den kleineren Parteien wie der Schas (ultrareligiös, unter der geistigen Leitung des früheren sefardischen Oberrabbiners Ovadia Josef), Vereinte Torah (orthodox) oder Israel Bejtenu (Partei der russischen Einwanderer).

Ausgeschlossen ist eine Zusammenarbeit mit der linken Meretz-Partei und den arabischen Gruppierungen. In einer solchen kleinen Koalition könnte Kadima die Schlüsselressorts Außenpolitik, Verteidigung, Finanzen und Erziehung behalten. Eine Koalition mit dem Likud oder Awoda käme für Olmert nach Aussage seiner engsten Mitarbeiter nur in Frage, wenn Netanjahu beziehungsweise Peretz abgewählt würden. Netanjahu seinerseits schließt eine Koalition mit Kadima kategorisch aus.

Olmert ist ein routinierter Rechtsanwalt und Politiker, ein geschickter Taktierer, der Scharon als dessen Stellvertreter viel "Kleinarbeit" abgenommen hatte - aber dem 60jährigen fehlt das Charisma. Hätte Scharon sein Schicksal geahnt, hätte er mit Sicherheit jemand anders als Nachfolger bestimmt. Vielleicht Außenministerin Tzipora "Tzipi" Liwni, deren größter Nachteil darin besteht, daß die 47jährige ebenfalls Juristin ist - ein Beruf, der sich in der israelischen Bevölkerung keiner besonderen Hochachtung erfreut. Andererseits wird sie von manchen sogar mit Golda Meïr verglichen, der früheren Außenministerin und Regierungschefin Israels.

"Die Operation hat uns den Rest gegeben"

Kurz vor Ende des Wahlkampfes kam es aber noch zu einem dramatischen Ereignis: Am 14. März stürmte die israelische Armee ein palästinensisches Gefängnis in Jericho. Ein "gezieltes wahltaktisches Manöver", kommentierte der grüne EU-Parlamentarier Daniel Cohn-Bendit. "Die Operation hat uns den Rest gegeben", erklärte resignierend ein Likud-Aktivist. "Israel befindet sich im Wahlkampf, trotzdem müssen wir diese Aktion Israels verurteilen", tadelte EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner. Und in der Tat stiegen die Umfragewerte für Kadima. Doch die Aktion wäre wohl auch ohne Wahlkampf gestartet worden.

Denn in Jericho saßen unter anderem der Chef der militanten linken Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), Ahmed Saadat, und weitere PFLP-Männer ein - darunter die Täter, die 2001 den israelischen Tourismusministers Rehavam Zeewi in einem Jerusalemer Hotel ermordeten. Nach ihrem Wahlsieg hatte die islamistische Hamas nun erklärt, sie wolle die Häftlinge von Jericho freilassen. Autonomiepräsident Mahmud Abbas gab zu erkennen, daß er dem Druck von Hamas nachgeben werde. In einem Brief vom 8. März an Abbas kündigten daraufhin Amerikaner und Briten den Abzug ihrer Beobachter aus Jericho an - ohne diesen Schritt mit den Palästinensern oder den Israelis abzusprechen.

Angesichts dessen hätte jede israelische Regierung, gleich welcher Couleur, ähnlich reagiert - die Mörder eines Kabinettsmitglieds läßt man nicht ungestraft ziehen. Saadat und vier PFLP-Aktivisten sind seither in israelischem Gewahrsam, sie erwartet ein neuer Prozeß in Israel. Ein palästinensisches Militärgericht hatte die Zeewi-Mörder zu zwölf bis 18 Jahren Haft verurteilt.

Foto: Ehud Olmert: Ohne Charisma


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