© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/06 24. März 2006

Angriff auf den Petrodollar
Internationale Finanzpolitik: Die geplante Eröffnung der iranischen Ölbörse könnte eine neue Chance für Europa sein
Gernot Schmidt

Im November 2000 hatte der Irak die Abrechnung des Uno-Programms "Oil for Food" von Dollar auf Euro umgestellt. Doch das Experiment hielt nicht lange: Im Frühjahr 2003, kurz nach der US-geführten Militärintervention und dem Sturz von Präsident Saddam Hussein, wurden der irakische Erdölverkauf und die irakischen Euro-Konten wieder auf Dollar umgestellt. Ob das einer der "inoffiziellen Gründe" für den Irak-Krieg war, darüber wird bis heute viel spekuliert.

Für Ende dieses Monats hat nun der Iran angekündigt, eine eigene asiatische Erdölbörse gründen zu wollen. Und im Gegensatz zu den bisherigen Hauptölhandelsplätzen - der New Yorker Warenterminbörse Nymex und der Londoner International Petroleum Exchange (IPE) - sollen Erdöl- und gas nicht mehr in nur Dollar, sondern vornehmlich in Euro gehandelt werden. Die iranische International Oil Bourse (IOB) soll ihren Sitz in der knapp 91 Quadratkilometer großen Freihandelzone Kish (Aracacta) im Persischen Golf haben - bis 1979 Ferieninsel von Schah Reza Pahlewi.

"Verschleierungstaktik" der US-Notenbank

Der Iran ist nach Saudi-Arabien, Rußland und den USA mit etwa 200 Millionen Tonnen zwar nur das viertgrößte Erdölförderland der Welt, doch die mögliche Abkehr vom Dollar hat mehr als nur symbolische Auswirkungen. Das von dem Linksnationalisten Hugo Chávez regierte Ölexportland und Opec-Mitglied Venezuela fordert seit Jahren, den Dollar im Ölhandel zurückzudrängen. Rußland und China haben angekündigt, einen Teil ihre Devisenreserven von Dollar in Euro umzuschichten. Hinzu kommt, daß die US-Notenbank (Federal Reserve/Fed) ab 26. März keine Zahlen mehr über die Geldmenge M3 veröffentlichen wird (M1: Bargeldumlauf und Sichteinlagen; M2: M1 plus Spareinlagen; M3: M2 plus Termineinlagen, Anteile an Geldmarktfonds und ähnliches).

Das nährt Spekulationen, wonach die Fed beabsichtigt, mit dieser Verweigerung maßgeblicher Informationen einen "Schleier" um den Dollar zu legen. Und sollte das iranische Vorhaben Schule machen, dann könnte das dazu führen, daß die Europäer deutlich weniger Dollars benötigen, um Erdöl einzukaufen. Das bedeutet dann aber auch, daß die Erdölanbieter nicht - wie ansonsten üblich - US-Schuldtitel erwerben und so den Wechselkurs des Dollar stützen werden. Die "Verschleierungstaktik" der Fed könnte also darauf abzielen, die dann unweigerliche Abwertung des Dollar möglichst "geräuschlos" vor sich gehen zu lassen.

Daß dieser Vorgehensweise offensichtlich selbst im eigenen Lande kein großes Vertrauen entgegengebracht wird, dokumentieren die veröffentlichten Bilanzen der großen US-Finanzhäuser. Diese haben vor allem seit 2002 US-Staatspapiere fast vollständig aus den eigenen Beständen herausgenommen. Was verwundert, da doch gerade die verschärften Eigenkapitalvorschriften des Basel-II-Abkommens die Banken anhält, zur Risikominimierung des eigenen Portfolios die per definitionem "risikolosen" Staatspapiere in der Bilanz zu führen.

Zu all dem hinzu kommt: Das US-Leistungsbilanzdefizit ist im vierten Quartal 2005 auf einen neuen Rekord-stand von 224,9 Milliarden Dollar gestiegen. Finanzanalysten hatten "nur" mit einen Anstieg auf 218 Milliarden Dollar gerechnet. Das Defizit in der Leistungsbilanz der Eurozone lag 2005 nur bei 29 Milliarden Euro, 2004 wurde sogar ein Überschuß von 43,5 Milliarden Euro erwirtschaftet. Zudem ist die US-Staatsverschuldung unter Präsident George W. Bush exorbitant gestiegen - nicht nur durch den Irak-Krieg.

Die US-Volkswirtschaft importiert seit vielen Jahren mehr, als sie exportiert. Auf die USA entfallen etwa drei Viertel der Leistungsbilanzüberschüsse aller anderen Industrieländer. Die größten US-Gläubiger sitzen in Asien, vor allem in China, Japan und Südkorea. Wenn der Dollar fällt, dann sind die in Dollar notierten US-Schulden im Ausland weniger wert. Ein abrupter Absturz des Dollars könnte sogar das gesamte Weltfinanzsystem in Schwierigkeiten Wanken bringen.

Fällt der Dollar - auch wegen mangelnder Nachfrage für Öl- und Gasgeschäfte -, dann steigt der Euro. Importe werden dann billiger - Exporte aus der Eurozone verlieren aber an Wettbewerbsfähigkeit: Etwa ein Zehntel der deutschen Ausfuhren geht in Richtung USA. Ob die USA bei einem niedrigeren Dollarkurs entsprechend weniger importieren würden, ist fraglich: Allein der US-Energiehunger verlangt nach etwa einem Viertel der Weltölproduktion. Mehr US-Exporte sind ebenfalls nicht ohne weiteres zu erwarten: US-Automobile sind beispielsweise trotz großer Rabatte meist Ladenhüter.

Kauf von US-Staatsanleihen finanziert das US-Defizit

Angesichts dessen werden vor allem die Asiaten weiterhin Dollar (in Form von US-Staatsanleihen) kaufen, um ihre Währungen "schwach" zu halten und Exporte in die USA zu verbilligen. Wenn es aber genug Nachfrage nach US-Staatsanleihen gibt, bleibt deren Zinssatz niedrig. Dies verbilligt die Kredite in den USA und hält deren Bürger in Konsumlaune. Und US-Bürger kaufen wiederum größtenteils Importe aus Asien - wie lange das noch so geht, kann niemand vorhersagen.

Die Wahrscheinlichkeit einer Dollarabwertung steigt aber zumindest. Was passiert aber dann in Europa? Der EU mangelt es an einem politisch tragfähigen Fundament. Die ungelösten internen Probleme sind nicht erst seit der EU-Erweiterung und gescheiterten Verfassung groß. Daher bleibt die Frage offen, ob die Europäer in der Lage sein werden, den Euro als starke Währung in Konkurrenz zum US-Dollar zu positionieren und auf diesem Wege die EU politisch gegen die Interessen der USA, aber auch Rußlands und Chinas als "vierte Weltmacht" zu etablieren.

Rußland und China werfen hingegen im aktuellen Atomstreit mit dem Iran ihr politisches Gewicht schon in die Waagschale. Gelänge es der EU nunmehr im zweiten Anlauf, über die Währungsschiene selbstbewußt die Chance größeren geopolitischen Einflusses zu nutzen, erhielte die europäische Idee einen neuen, mithin ungeahnten Aufschwung. Und dies nicht nur deshalb, weil im Zuge dessen mit einer ökonomischen Erholung zu rechnen wäre. Vor allem käme ein wirtschaftspolitisch selbstbewußtes und selbständiges Europa der mentalen Grundstimmung zumindest der Kontinentaleuropäer entgegen.

Verstreicht die Gelegenheit ungenutzt, wird der Euro das bleiben, was er heute ist: die Arabeske eines politischen Prozesses, der sich letztlich in der europaweiten Umverteilung nicht vorhandener Finanzmittel erschöpft.

Foto: Iranischer Präsident Ahmadi-Nedschad: Erdölverkauf für Euro


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