© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/06 24. März 2006

Pankraz,
die EKD und das Loch in der Lutherbibel

In der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) bereitet man eine neue Bibel vor, die sich schneidend von der alten, "eigentlichen" Bibel unterscheiden soll. Alle "antifeministischen", "antisemitischen" und "antihomosexuellen" Stellen werden, so die diversen Andeutungen, aus der neuen Bibel entfernt. Eine regelrechte Reformation der Reformation steht bevor.

Man kann eine Menge gegen ein solches Unternehmen haben (Pankraz hat eine Menge dagegen), aber zunächst bleibt festzuhalten: Ein Sakrileg, also eine Zerstörung oder Entweihung der christlichen Kirche und ihrer Botschaft, wäre es nicht. Im Gegensatz zum Koran der Muslime gilt die Bibel der Christen nicht als unmittelbar dem Munde Gottes entsprungen und somit völlig unantastbar. Sie wurde aufgeschrieben und zusammengestellt von vielen historisch identifizierbaren Einzelpersönlichkeiten, und im Laufe der Zeiten wurde sie oft auch redigiert.

Was die Gläubigen in Deutschland als "heiliges" Buch, als "Buch der Bücher" hüten und lieben, ist natürlich immer noch die Lutherbibel, die auch den modernen katholischen Übersetzern der lateinischen, im vierten Jahrhundert kanonisierten "Vulgata" (Kürzinger u.a.) vielerlei Hilfe und Anregung geboten hat. Diese Lutherbibel ist im notorisch bibelkritischen zwanzigsten Jahrhundert gleich mehrmals auf linguistische Unstimmigkeiten überprüft und fallweise "revidiert" worden. Man kann heute das Urteil wagen, daß es seit der letzten großen Revision von 1984 keine aus der Übersetzung herkommenden Fehler mehr gibt.

Worum es jetzt geht,ist keine Tilgung möglicher Übersetzungsfehler, sondern eine absichtliche Veränderung des griechischen Urtextes. Die Botschaft soll nicht gereinigt und von Irrtümern befreit werden, sondern sie soll umgeschrieben, der herrschenden political correctness angepaßt werden. Das beginnt (wie gewisse, schon jetzt vorgenommene Änderungen im Gesangbuch oder in der Agenda zeigen) recht taubenfüßig, gewinnt aber erfahrungsgemäß schnell an Fahrt und geht schließlich ans Eingemachte.

Wenn es im Buch Hiob (1,21) in Luthers und Kürzingers Übersetzung heißt: "Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt", so entspricht das präzise dem Original. Der evangelische Pfarrer im Gottesdienst macht daraus gemäß der behördlich geänderten Agenda: "Gott hat's gegeben, Gott hat's genommen ..." Eine winzige Differenz zunächst nur. Aber eben kein Übersetzungsfehler, sondern eine bewußte Abweichung vom Urtext, eine Zensur aus Gründen der PC, eine Fälschung.

Apart ist nun, daß die Fälscher ihre Absicht vehement abstreiten. Sie hätten, beteuern sie, tatsächlich nur alte, jahrtausendelang mitgeschleppte "Übersetzungsfehler" korrigiert. Die ganze Kampagne wird von den beteiligten Kräften, also den eifrig die Bibel durchwühlenden neuen Reformatoren und der (vorläufig noch ein bißchen zögernden) EKD als schlichte Fortsetzung der bisherigen "Revisionen" hingestellt. Und das, findet Pankraz, ist ein ziemlicher Skandal.

Falls man es für nötig hält, dem Zeitgeist zu opfern und archaische, "von der Entwicklung der Menschheit überholte" Zungenschläge aus geheiligten Texten auszumerzen, muß man sich offen dazu bekennen, ein Konzil einberufen und in freier Diskussion die Klingen kreuzen. Die Sache ist ja wichtig genug. Doch nein, man ist für offene Diskussion zu feige, man hat von Luthers "Hier stehe ich, ich kann nicht anders" offenbar noch nie etwas gehört, man schleust die neue Reformation durch die Hintertür ein.

Das ganze Unternehmen wird dadurch von vornherein blamiert. Alle Probleme werden verschmiert, darunter die interessantesten und wichtigsten. Wie unantastbar sind heilige Bücher wirklich? So wäre beispielsweise zu fragen. Kann es überhaupt heilige, unantastbare Sprachtexte geben? Fließt die Heiligkeit nicht vielmehr aus dem Bild, aus dem Zeichen, dem Symbol, das tausendfältig auslegbar ist und trotzdem und gerade deshalb Unangreifbarkeit und Respekt gewinnt?

Pankraz vermutet, daß religiöse Texte, um Heilsstatus oder auch nur Faszination zu erringen, immer poetische, bildhafte, ästhetisch belangvolle Texte sein müssen. Die Faszination rührt aus dem Geheimnis, das sie um sich verbreiten. Das gilt sogar für die Zehn Gebote, die Moses in harte Steine ritzte. Sie klangen wahrlich nicht poetisch, bemühten weder Metaphern noch Verse, doch ihre ungeheure Knappheit war Metapher und Rhythmus genug. Ästhetik der Lakonie.

Heilige Texte, so lernen wir just in diesen Tagen am Schicksal des Korans und seiner Anhänger, sollten sich nicht allzu dringlich und ausführlich in konkrete Dinge des tagtäglichen Lebens einmischen. Heiligkeit und Hoppsassa passen nicht unbedingt zueinander. Jedes gute Leben ist wohl religiös, transzendent inspiriert, es braucht jedoch irgendwo auch einen gewissen Auslauf, einen Freiraum, in dem sich Zufall und Geschichte bemerkbar machen können. Giorgio Agamben hat es kürzlich auf den Begriff gebracht: "Heiliges kann nur Bestand haben, wenn man es streckenweise ignoriert, ja, profaniert."

Bei heiligen Büchern mit donnernden Lebensanweisungen fällt das nicht immer leicht, doch wer daraus den Schluß zieht, daß man die Texte dauernd umschreiben, der Zeit und den Umständen anpassen müßte, kommt vom Regen in die Traufe. Er gleicht jenem armen Heinrich aus dem Lied "Wenn der Pott aber nun ein Loch hat ...", welcher von einer Reparatur zur anderen stolpert, nur um am Ende wieder am Ausgangspunkt anzukommen.

Besonders komisch, fast verächtlich die Heinriche von der EKD, die so tun, als sei das Loch im Pott ein bloßes Übersetzungsproblem und leicht zu beheben. Obwohl sie doch genau wissen, daß sie und ihre Klientel bei Strafe des Untergangs damit leben müssen.


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