© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/06 31. März 2006

Belastungsprobe für die Große Koalition
Integration: Parteien streiten darüber, was Einbürgerungswillige in Deutschland wissen müssen / Einheitlicher Fragebogen rückt in weite Ferne
Peter Müller

Daß die bisherige Integrationspolitik zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt hat, ist sowohl Teilen der Bundesregierung als auch den meisten Landesregierungen bekannt. Um diesem Mißstand bei der Einbürgerung abzuhelfen, sollen nun in verschiedenen Bundesländern Fragenkataloge bei der Einbürgerung eingeführt werden, die für hitzige Debatten sorgt.

Jährlich werden in Deutschland rund 130.000 Ausländer eingebürgert. Geregelt werden die Einbürgerungen durch das Staatsangehörigkeitsgesetz, das eine Reihe von Anforderungen an den zukünftigen Deutschen stellt, etwa die Länge des Aufenthalts in Deutschland, die Möglichkeit der Sicherung des Lebensunterhaltes, das Alter oder die Straflosigkeit, von denen jedoch im Einzelfall auch abgewichen werden kann. Diese Abweichung liegt im Ermessen der Einbürgerungsbehörde. Darauf wird in der Informationsbroschüre der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration explizit hingewiesen, durch die im Vorwort jeden Ausländer "eingeladen" wird, gleichberechtigter Bürger unseres Landes zu werden und die ihm eine ganze Reihe von Vorteile aufzählt, die er durch die Einbürgerung erlangen kann.

Was in dieser Broschüre an keiner Stelle erwähnt wird, sind die Pflichten und die Verantwortung, die mit den neu gewonnenen Rechten als deutscher Staatsbürger einhergehen. Wohl um diesem Ungleichgewicht abzuhelfen und um eine nachhaltige und erfolgreiche Integration wenigstens der hier lebenden Ausländer zu erreichen, die in Zukunft einen deutschen Paß ihr eigen nennen dürfen, wurde der umstrittene Fragenkatalog angeregt, den es in vielen anderen europäischen Länder schon gibt.

Zu unterscheiden sind in der aktuellen Debatte zwei Fragen, die sich zwar gegenseitig bedingen, allerdings differenziert betrachtet werden sollten. Zunächst ist zu klären, wie sinnvoll ein Fragentest zur Integration wirklich sein kann. Kommt man zu dem Ergebnis, daß ein solcher Test notwendig ist, muß man sich anschließend damit auseinandersetzen, welche Fragen gestellt werden sollen.

Abfrage von Mittelgebirgen und Flüssen

Einigkeit herrscht momentan weder in der einen noch in der anderen Frage. Während SPD und Grüne der Union vorwerfen, mit dem Einbürgerungstest Wählerstimmen am rechten Rand fischen zu wollen, und SPD-Fraktionschef Peter Struck bekräftigt, daß es einen solchen Test mit der SPD nicht geben werde, stellten Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) und sein bayerischer Amtskollege Edmund Stoiber (CSU) klar, daß sie den Test notfalls auch im Alleingang einführen werden. Dieser diametrale Gegensatz dürfte zu einer Belastungsprobe für die Große Koalition werden, zumal sich sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hinter das Vorhaben stellen. Allerdings gibt es auch kritische Stimmen aus den Reihen der Union, so lehnt unter anderem der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) einen "Gesinnungstest" ab.

Aufgrund dieser Uneinigkeit ist mit einer bundeseinheitlichen Regelung in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Falls in Teilen der Republik der Einbürgerungstest kommt, wird man sich überlegen müssen, mit welchen Fragen eine möglichst große Integrationsbereitschaft abgefragt werden kann. So hat SPD-Chef Matthias Platzeck sicher recht, wenn er es als Holzweg bezeichnet, daß die Probleme der Migration und Integration mit der Abfrage von Mittelgebirgen und Flüssen gelöst werden sollen.

Bezweifelt werden darf, daß sich mit Fragen nach dem "Wunder von Bern" oder der "bedeutenden Ausstellung moderner und zeitgenössischer Kunst in Kassel" eine Identifikation und Integration mit dem deutschen Vaterland herstellen läßt. Im großen und ganzen kann mit dem Fragenkatalog, wie er beispielsweise in Hessen vorgesehen ist, allerdings schon einen Überblick über die Grundfeste der Bundesrepublik geschaffen werden.

Verblüfft darf der grundgebildete Deutsche daher sein, wenn von diversen Seiten der Test als sogar für Deutsche zu schwierig kritisiert wird. Wenn man sich entschließen sollte, einen solchen Test einzuführen, dann kann nicht die desolate Allgemeinbildung der Schulkinder die Grundlage dafür sein, welche Anforderungen an die zukünftigen deutschen Staatsbürger gestellt werden.

Zeichen verfehlter Bildungspolitik

Insofern sind die Einwände der Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Ute Erdsiek-Rave (SPD), und des Deutschen Lehrerverbandes, daß der Test von deutschen Schülern nicht problemlos beantwortet werden könne, eher ein Zeichen für verfehlte Bildungspolitik als ein nützlicher Beitrag in der Integrationsfrage. Während selbst im Einbürgerungstest der liberalen Niederlande selbstverständlich nach Staatsgründer Willem van Oranje und anderem Grundwissen des Landes gefragt wird, regen sich deutsche Spitzenpolitiker darüber auf, daß zukünftige Wahlberechtigte über den Inhalt des Grundgesetzes befragt werden.

Es bleibt daher abzuwarten ob der Test - wenn er den irgendwann doch deutschlandweit eingeführt werden sollte - einen wirklichen Beitrag zur Integration darstellen würde oder ob dadurch nur das Gewissen der politisch Verantwortlichen beruhigt wird.

Foto: Hessens CDU-Innenminister Volker Bouffier mit Integrationsleitfaden: Kritik aus der eigenen Partei


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