© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/06 31. März 2006

Zeitschriftenkritik: Blaue Narzisse
Die richtige Mischung
Werner Olles

Die seit September 2004 mit einer Auflage von 300 Exemplaren im DIN-A-5-Format vierteljährlich erscheinende Chemnitzer Schülerzeitung Blaue Narzisse bietet ihren Lesern auf etwa vierzig Seiten eine ansprechende und abwechslungsreiche Lektüre. Neben kleineren Essays, Lyrik, Prosa, Rezensionen und Ausstellungsberichten bestechen vor allem die Schwarz-Weiß-Photographien. Ein Beleg dafür, daß die Blattmacher ihre Zeitschrift mit viel Liebe und Engagement gestalten.

Die aktuelle Ausgabe der ins Visier der gewalttätigen linksextremistischen "Antifaschistischen Aktion" geratenen Schülerzeitung (siehe Beitrag oben) wartet mit einem deprimierenden Text über die Stadt Chemnitz auf. Die ehemalige Karl-Marx-Stadt scheint trotz ihrer Einwohnerzahl von 250.000 für junge Leute nicht gerade eine Traumstadt zu sein. Mit erfreulicheren Erscheinungen befaßt sich hingegen ein Essay von Marcus Lehmann über die "moderne Liebe". Der Autor versucht einen gewagten Sprung von der "romantischen Liebe" früherer Zeiten über die heute vorherrschende "Liebe auf Vorbehalt" oder "Realistische Liebe", die jedoch durch den äußeren Zwang der "Coolness" zusätzlich noch stark beeinflußt wird, bis hin zu der durch den "Geist des Fortschritts und des Geldes" geschwängerten relativ kalten Vision der Partnerauswahl aus Rentabilitäsgründen. Gegen diese doch ziemlich ungute Entwicklung helfe nun wiederum nur eine Romantisierung der Liebe, damit die Kälte des Nützlichkeitsdenkens ein wenig von uns weicht. Letztlich sei jedoch wohl allein die richtige Mischung zwischen Realismus und Romantik, Kälte und Hitze, Gefühlsverdrängung und Gefühlsüberspitzung sinnvoll. Ob man das wirklich immer so exakt steuern kann, ist eine andere Frage.

Recht interessant ist auch ein Beitrag über "Dutschke und die Freiheit". Basierend auf einem Vortrag von Bernd Rabehl, Dutschkes engen Freund und Weggefährten, im Dezember 2005 in Chemnitz, beschreibt der Autor Rudi Dutschke als einen der "größten und charismatischsten Revolutionäre des letzten Jahrhunderts". Richtig daran ist, daß Dutschke, die "geschichtsträchtigen Völker Europas" zu einer Vereinigung gegen die imperialistische Politik der USA und der Sowjetunion zusammenschmieden wollte. Mit der Gründung des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) hatte Dutschke allerdings nichts zu tun. Der SDS wurde bereits Anfang September 1946 von Delegierten aus 20 westdeutschen Hochschulen unter den Porträts von Kant und Marx in der Hamburger Elbschloßbrauerei gegründet. Die SPD-Vorsitzenden Schumacher und Ollenhauer gewährten dem Verband den Status einer "organisatorischen Unabhängigkeit" von der Partei. Klaus Schütz' Antrag, den SDS als "Arbeitsgemeinschaft in der SPD" aufzunehmen scheiterte. In den Vorstand wurde der 28jährige Jurastudent Helmut Schmidt aus Hamburg gewählt. Der ehemalige Oberleutnant der Wehrmacht schockierte die Delegierten damit, daß er in seinem alten Offiziersledermantel auftrat. Im November 1961 beschloß der SPD-Parteivorstand die Unvereinbarkeit mit einer Mitgliedschaft im SDS.

Kontakt: Benjamin Jahn Zschocke, Tel.: 03 71 / 42 01 93. Das Jahresabo für drei Ausgaben und ein Sonderheft kostet 10 Euro. Internet: www.blauenarzisse.de


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