© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/06 31. März 2006

CD: Blues
Erste Liebe
Michael Insel

Zu Beginn der 1950er Jahre, noch bevor die Morgenröte des Rock'n'Roll den Horizont neongrell zum Glitzern brachte, hockte ein italo-amerikanischer Junge namens Dion DiMucci stundenlang am elterlichen Radio. Seine frühesten musikalischen Einflüsse rauschten und knackten aus Newark im Nachbarstaat New Jersey über den Äther, wo ihm die "Don Larkin Country Show" die hohe, wehklagende Stimme des Hank Williams bescherte. Manchmal lauschte er auch den großen Männern des Blues, Howlin' Wolf etwa oder Lightnin' Hopkins, aus dem fernen West Virginia. Dem Jugendlichen, der sich einer Bande angeschlossen hatte, um auf dem harten Pflaster der Bronx zu überleben, schienen diese Klänge aus einer ganz anderen Welt zu kommen. Die Musik bot ihm Zuflucht aus seiner Lebenswirklichkeit, und es dauerte nicht lange, bis er als Dion Hill im Keller einer nahen Kirche Country-Nummern von Williams zum besten gab.

Seither sind einige Jahrzehnte verstrichen, in denen Dion zunächst Doo-Wop-Hits mit den Belmonts einspielte und sich als Solokünstler (mit Begleitung der Del-Satins, die jedoch auf den Platten unerwähnt blieben) mit R&B-Klassikern wie "The Wanderer" und "Runaround Sue" einen Namen machte. Es folgten Abstecher in den Folk-Rock Ende der Sechziger, eine Kooperation mit dem legendären Produzenten Phil Spector Mitte der Siebziger sowie eine Handvoll Gospel-Alben in den Achtzigern und Neunzigern. Dion hat sich als veritables Rock'n'Roll-Chamäleon erwiesen, dessen Vielseitigkeit höchstens von Bobby Darin, jenem anderen von Kopf bis Fuß in Kunstfasern gekleideten Weltmann aus der Bronx, ihren Meister fand. Nach einer kurzen Dürreperiode hat der mittlerweile 66jährige nun den Kreis geschlossen und ein großartiges neues Album mit jenen klassischen Blues- und Country-Nummern aufgenommen, denen seine erste musikalische Leidenschaft galt.

"Bronx in Blue" ist eine schnörkellose Hommage an einige seiner Lieblingsstücke. Lediglich ein von Bob Guertin gedämpft gespieltes Schlagzeug und eine akustische Gitarre begleiten Dions geschmeidige Stimme, die kräftig und voll klingt wie eh und je. Er ist merklich kein geschulter Blues-Sänger, vermag sich Stücken wie Howlin' Wolfs "How Many More Years" oder Willie Dixons Gossenhauer "Built for Comfort" aber mit intuitivem Einfühlungsvermögen und makelloser Modulation anzunähern.

Am besten bekommt diese kongeniale Bearbeitung den Kompositionen von Robert Johnson, dem man als "King of the Delta Blues" einst nachsagte, er habe seine Seele für ein paar Stunden Gitarrenunterricht an den Teufel verscherbelt. Sie bilden die soliden Grundmauern, auf denen der Rest des Albums ruhen könnte, lüden sie nicht selber so unwiderstehlich zum Vagabundieren auf durstigen, staubigen Landstraßen ein: der unbeschwert wallende Opener "Walkin' Blues" etwa oder die mit Herzblut angereicherten Interpretationen von "Crossroads" und "Travelin' Riverside", um nur ein paar der Juwelen zu nennen, mit denen dieser Silberling besetzt ist - seien sie nun echte Diamanten oder die in der Country-Szene so beliebten Rheinkiesel. Denn auch Williams' "Honky Tonk Blues", laut Dion der "erste Song, den ich je hörte, der erste Song, den ich je spielte", funkelt geradezu in den Ohren.

Weitere Glanzlichter setzen eine neue Version der Belmonts-Nummer "Baby, What You Want Me to Do" von Jimmy Reed sowie ein selten gehörtes Stück aus dem Jahr 1934: Hattie Harts wollüstiges "I Let My Baby Do That", das die Solokünstlerin und Sängerin der Memphis Jug Band ursprünglich unter dem Titel "I Let My Daddy Do That" einspielte. Insgesamt bietet "Bronx in Blue" erstklassiges Material frisch aufbereitet: das überzeugende Werk eines Überzeugungstäters.


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