© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/06 31. März 2006

Den Kaiser gab's schon als Postkarte
Fotografie im Wandel der Zeit: Zwei Ausstellungen in Berlin zeigen Porträts des 20. Jahrhunderts
Ekkehard Schultz

Mit der gesellschaftlichen Sprengkraft, die historische Fotografien auch heute noch besitzen, haben Ausstellungsmacher und Kuratoren des Deutsche Historischen Museums (DHM) in Berlin bereits einmal ihre einschlägigen Erfahrungen machen müssen. Gerade zehn Jahre ist es her, als bereits im Vorfeld der geplanten Fotoausstellung "Hoffmann und Hitler" Linksextremisten in einer derart massiven Form protestierten, daß die bereits im Münchner Stadtmuseum zugängliche Präsentation in der deutschen Hauptstadt dem Publikum nicht gezeigt wurde. So konnten sich damals Interessenten lediglich mit Hilfe des Katalogs davon ein Bild machen, was politische Dogmatiker mit sinnlosen Gewaltexzessen gegen Plakate und Werbezettel zu verhindern suchten.

Wie damals bei "Hoffmann und Hitler" knüpfen die zwei neuen Ausstellungen des DHM an das Konzept an, Fotografien als historische Dokumente zu verstehen und sie in diesem Sinne zu präsentieren. Zugleich wollen beide Ausstellungen - "Das Porträt im XX. Jahrhundert. Fotographien aus der Sammlung des Deutschen Historischen Museums" und "Die Sammlung Schafgans. 150 Jahre Fotografie" - die Geschichte des 20. Jahrhunderts bildhaft einfangen.

Die neue Technik überließ man zunächst den Profis

In Berlin, aber auch anderen Großstädten Deutschlands gab es um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eine Fülle von Bilderateliers und Fotografenstudios, deren Dienste vor allem vom Bürgertum in Anspruch genommen wurden. Familienfotos und Porträts einzelner Familienmitglieder, Darstellungen von Personen bei gesellschaftlichen und kulturellen Anlässen, aber auch im Bereich der Freizeitgestaltung waren die hauptsächlichen Motive, für die man professionelle Fotografen in Anspruch nahm.

Die entstandenen Aufnahmen wurden im Regelfall sorgfältig für kommende Generationen aufbewahrt und bildeten einen Bildervorrat, der regelmäßig, etwa im Rahmen der Familienchronik, abgerufen und im Gedächtnis gespeichert wurde. Die Laienfotografie dagegen sollte sich erst später durchsetzen: Zwar waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts entsprechende Apparate für die wohlhabenden Gesellschaftsschichten finanziell durchaus erschwinglich, zumeist aber wurde die häufig doch noch relativ neue Technik lieber professionellen Händen überlassen.

Unter Wilhelm II. erreichte die zeitgenössische Herrscherfotografie bereits einen Höhepunkt. Nicht nur zu staatlichen Anlässen wurde der Kaiser abgelichtet, sondern auch Bilder von scheinbar privaten Anlässen in der Presse wiedergegeben. Hierzu trug auch die Verbreitung von derartigen Darstellungen auf Postkarten mit Massenauflagen bei. Der Bedeutungsverlust der klassischen Herrscherporträts förderte einerseits die Tendenz zur Demokratisierung, ging andererseits aber auch mit einem Verlust an Exklusivität einher.

Nach dem Ersten Weltkrieg kam es zunächst zu einer Erosion der Herrscher- und Heldenbilder. Statt der Darstellung einzelner Persönlichkeiten waren stärker Gesellschaftsbilder gefragt, die bis zu diesem Zeitpunkt noch kaum porträtierte Gruppen ins Licht der Öffentlichkeit rückten: Kriegsbeschädigte, Arme und Kranke wurden auf diese Weise ständig präsent und bewirkten damit eine Veränderung des Wahrnehmungshorizontes. In der Weimarer Republik entstanden Serien eindrucksvollster Beispiele einer sozial engagierten Fotografie.

Mit Zerrbildern wurde der politische Gegner desavouiert

Zugleich vergrößerte sich seit den zwanziger Jahren der Einfluß des Journalismus auf das Porträt sowie auf die gesamte Bilderproduktion immens. Fotos wurden nun in erster Linie zweckgerichtet hergestellt, um in Zeitungen und Magazinen möglichst häufig reproduziert zu werden - ein Trend, der sich gut drei Jahrzehnte später mit dem Aufkommen des Fernsehen als Massenmedium weiter verstärkte.

Im Dritten Reich - ebenso wie in anderen totalitären Regimen - wurde versucht, die Fotografie als Mittel einzusetzen, um ein Menschenbild zu konstruieren, welches in Wirklichkeit nicht bzw. nicht in dieser Form existierte. So sollten mit Hilfe von Fotos unter anderem Theorien über die vermeintliche Ungleichheit von Menschenrassen unterstrichen und belegt werden. Im Gegensatz dazu erlitt das "unpolitische" Porträt einen Bedeutungsverlust. Die Zahl der "Führerporträts" wuchs bis 1940 nahezu ins Unermeßliche. Doch mit dem sich länger hinziehenden Kriegsverlauf und seiner zunehmend ungünstigeren Entwicklung brach dieser Markt regelrecht zusammen. Hier nahm das Foto seit Ende 1940 praktisch eine Entwicklung vorweg, die wenige Jahre später im politischen Raum im gleichen Maße zu beobachten war.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatte das klassische Herrscherporträt in der Bundesrepublik endgültig ausgedient. Deutlich war die Übernahme von Tendenzen aus der amerikanischen Fotografie, wie sie beispielsweise in den Titelporträts der Nachrichtenmagazine Time oder Newsweek zum Ausdruck kamen. Dagegen hielt man in der staatlich-offiziellen Fotografie der DDR weiter an den alten Mustern fest: Während die Personen Staats- und Parteiführung in bewußt geschönten Posen dargestellt wurden, dienten Fotografien von politischen Gegnern - insbesondere aus Westdeutschland - als Zerrbilder, die zudem oft so lange retuschiert wurden, bis sie gezielt "mies" wirkten. Abseits von dieser Grundrichtung entwickelte sich seit den sechziger Jahren freilich im kleineren Rahmen auch eine Fotokunst, die jenseits aller Propaganda die realen Verhältnisse und die tatsächliche Lebenssituation der Menschen widerspiegelte. Sie führte freilich bis 1989 weitgehend ein Schattendasein.

Längst zeichnet sich die Bilderproduktion durch ihre immer schnellere Verfallszeit aus. Was heute noch in Politik, Gesellschaft, Kunst und Kultur oder auch im Sport als modern gilt, kann morgen bereits ein Relikt von gestern sein - und damit bereits unverkäuflich. Zugleich versuchen insbesondere Fotografen der jüngeren Generation wieder, langlebige Muster zu entdecken bzw. gegen den Zeittrend festzuhalten. 

Beide Ausstellungen sind noch bis zum 9. April im Deutschen Historischen Museum, Ausstellungshalle von I. M. Pei, Hinter dem Gießhaus 3, täglich von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Die reich bebilderten Kataloge mit 228 bzw. 178 Seiten kosten je 25 Euro.

Foto: Konrad Adenauer (1950), Willy Brandt (1976): Das klassische Herrscherporträt hatte ausgedient

Foto: Ilse Werner (um 1942), Gert Fröbe (1979): Was heute als modern gilt, wird morgen zum Relikt von gestern


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