© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/06 31. März 2006

Frisch gepresst

Oscar Levy. Die Werkausgabe des jüdischen Nietzscheaners Oscar Levy, im vorigen Frühjahr mit einem stattlichen Band seiner Schriften über den "Zarathustra"-Schöpfer eröffnet (JF 39/05), nimmt ihren Fortgang mit Band 4, einem provokativen geschichtsphilosophischen Essay aus dem Kriegsjahr 1940 (Der Idealismus - ein Wahn. Parerga Verlag, Berlin 2006, 169 Seiten, Abbildungen, 29,80 Euro). Der Text zählt zu jener Sorte von "Schlüsselangeboten", die sich in den dreißiger Jahre anheischig machten, die Ursprünge des "totalitären" Zeitalters aufzudecken. Vor allem für die deutsche Geschichte wurden "Kontinuitäten" und "Sonderwege" entdeckt, die glasklar darlegten, warum seit Luther alles immer schon auf Hitler zugelaufen sei. Hellmuth Plessner und Erich von Kahler reüssierten mit ihren Exilpublikationen in diesem Genre. Levys Herausgeberin Leila Kais, die diesem Band ein ausführliches Nachwort widmet, hätte diesen Kontext doch stärker berücksichtigen müssen. Im Vergleich mit Plessner oder Kahler ergibt sich, daß Levy nämlich eher eine polemisch-fahrige Skizze geliefert hat, die nicht nur den deutschen, sondern den menschheitlichen Un-heilsweg mit der Geschichte Israel beginnen läßt. Im Sauseschritt eilt Levy hier durch die Jahrhunderte, um vom "Nazi aus Nazareth" über Calvin und Cromwell, Rousseau und Robespierre, Hegel und Marx bei Lenin und Hitler zu enden: alles "Idealisten" und "Messiasse", die in ihrem Bestreben, das Himmelsreich auf Erden zu realisieren, uns ein ums andere Mal die Hölle bereiteten.

Alfred Rosenberg. Der 1893 in Reval geborene, fließend Russisch sprechende baltendeutsche "Chefideologe" der NSDAP, der 1946 in Nürnberg zum Tod verurteilt und hingerichtet wurde, war nominell ein Mann aus der ersten Reihe der NS-Bewegung. Um so auffälliger ist, daß angesichts von Tonnen zeithistorischer Literatur über die kurzen tausend Jahre des Dritten Reiches ausgerechnet er kaum beachtet worden ist. Das holt jetzt mit Macht der Verlegersproß Ernst Piper nach (Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe. Karl Blessing Verlag, München 2005, 831 Seiten, Abbildungen, gebunden, 26 Euro). Daß Piper dabei gleich zuviel des Guten tut und Rosenberg mitunter bei seiner so hingebungsvollen wie redundant-langweilenden Schilderung der "Zeitumstände", der Münchner Räterepublik etwa oder der bekannten Details der NS-Kulturpolitik, aus dem Blickfeld rückt, trübt den Gesamteindruck leider ebenso wie die allzu karge Darstellung von Rosenbergs Zeit an der Spitze des "Ostministeriums" und des internen Dauerkrieges mit seinen "Reichskommissaren" Hinrich Lohse (Ostland) und Erich Koch (Ukraine). Ob man sich als Biograph im Nürnberg-Kapitel noch einmal so enthemmt wie Piper in die Rolle des US-Chefanklägers hineinsteigern muß, ist vielleicht eine Geschmacksfrage, aber hier sind denn auch die schwächsten Partien eines Werkes erreicht, das in seinen stärkeren Teilen die biographischen Versuche angelsächsischer Autoren bei weitem übertrifft.

Ostpreußische Kleinodien. Bereits vor zwei Jahren hat Kersten Radzimanowski das ostpreußische Oberland zwischen Frischem Haff und Kulmerland in Form eines "Hausbuches" vorgestellt. Nun fokussiert er aus diesem Teil Ost- bzw. Westpreußens die Gegend um den Geserichsee. Dabei überwindet er die eher anonyme Perspektive eines Landschaftsporträts und dringt in den Mikrokosmos der alten ostpreußischen Welt der kleinen Dörfer ein. Indem er lokale Geschichte, aber auch Ortspläne und Einwohnerlisten präsentiert, läßt er Aufschluß auf diese in 700 Jahren deutscher Besiedelung entstandene Sozialstruktur zu. Insofern stößt er sogar weiter vor als alle "Kreisbücher" der noch dort verwurzelten Vertriebenen nach 1950 (Wir vom Geserich. Aus Ostpreußens Oberland von Saalfeld bis Deutsch Eylau. Selbstverlag, Eggersdorf 2006, 366 Seiten, gebunden, Abbildungen, 53 Euro).


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