© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/06 07. April 2006

PRO&CONTRA
Abschied vom Modell der Hauptschule ?
Christian Pfeiffer / Josef Kraus

Anfang 2005 hat das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen mit 17.000 Jugendlichen eine Repräsentativbefragung durchgeführt. Diese zeigt: Gegen die Hauptschule gibt es bei deutschen Kindern eine Abstimmung der Füße. Nur im Süden, wo die Schullaufbahnempfehlungen der Grundschule bindend sind, besuchen von ihnen noch zwischen 25 und 30 Prozent die Hauptschule. In norddeutschen Städten waren es 2005 nur noch 13 Prozent. Dieser Trend ist nicht aufzuhalten, weil den deutschen Eltern eines klar ist: Zumindest in den westdeutschen Städten dominieren an Hauptschulen heute Kinder aus Migrantenfamilien, die häufig schlechte Sprachkenntnisse haben. Hinzu kommt eine Zusammenballung von Problemkindern, die sich gegenseitig sehr negativ beeinflussen.

Daraus ergibt sich die für Hauptschulen typische Eigendynamik in Richtung Schulverweigerung, Gewalt, Null-Bock-Mentalität und einem aggressiven Männlichkeitsgehabe. Ergebnis: 34 Prozent der männlichen Hauptschüler haben im Jahr vor unserer Befragung selber Gewalttaten begangen, jeder zweite hat die Schule geschwänzt, jeder fünfte sogar an mindestens zehn Tagen. Zudem gefährdet ihr extrem hoher Medienkonsum die Schulleistungen - pro Schultag vier bis fünf Stunden, und dabei brutale Gewaltexzesse. Dies alles spricht für die Auflösung dieser Schulform und eine Zusammenlegung mit den zahlenmäßíg weit stärker besetzten Realschulen. In einer solchen "Regelschule", wie sie etwa Thüringen hat, wäre die große Mehrheit der Schüler leistungsorientiert. Der Einfluß der Mädchen käme stärker zum Tragen, die Klassenzusammensetzung würde es erleichtern, einen konstruktiven Unterricht zu gestalten. Wenn das Ganze dann noch eine Ganztagsschule wäre, mit einem Nachmittag angefüllt von Sport, Kultur, sozialem Lernen, hätten wir optimale Vorraussetzungen für eine gute Schule.

 

Prof. Dr. Christian Pfeiffer ist Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e.V. Internet: www.kfn.de

 

 

Die Forderung nach Abschaffung der Hauptschule ist Schaufensterpolitik. Kein einziges Problem wäre damit gelöst, es würde nur umetikettiert. Hauptschule hat nun einmal eine äußerst heterogene, schwierige Klientel. Mit der Kappung der Hauptschule ist diese Schülerschaft nicht verschwunden, wie durch ein Wunder zu einer motivierten geworden oder auf dem Arbeitsmarkt plötzlich vermittelbar. Vielmehr ist zu befürchten, daß sich manches Hauptschulproblem mit einer Fusion von Hauptschule und Realschule auf eine größere Schülerschaft ausweitet. Realschüler aber quasi zum Sozialpuffer zu machen, das wäre eine fragwürdige Instrumentalisierung junger Menschen.

Im übrigen sollte man die Kirche im Dorf lassen: Es gibt in Deutschland 7.000 Hauptschulen, die oft Hervorragendes leisten. Der vom Bundespräsidenten verliehene deutsche Hauptschulpreis ist eindrucksvoller Beweis dafür. Wenn sich Hauptschulen mit einem Migrantenanteil von 80 Prozent überfordert sehen, dann ist das kein Versagen der Hauptschule, sondern ein Versagen der Schul- und Migrationspolitik. Letztere sollte deshalb nicht "Haltet den Dieb!" rufen.

Pisa hat uns gelehrt, daß ein Anteil von mehr als 20 Prozent Migranten in einer Schule zu einer erheblichen Belastung des Leistungsvermögens aller Schüler führt. Die Politik hat daraus keine Konsequenzen gezogen; sie sitzt in der Toleranzfalle, anstatt von Migranten ein Minimum an deutscher Sprache zu verlangen. Wer nämlich die Sprache nicht beherrscht, bei dem regiert zu leicht die Faust.

Auch hat sich die Schulpolitik vor allem SPD-regierter Länder zu lange mit luxuriös ausgestatteten Gesamtschulen geschmückt, anstatt in die Hauptschule zu investieren: durch deren Ausbau zu Ganztagsschulen und durch die Zuweisung von Förderlehrern sowie von Sozialpädagogen und Streetworkern.

 

Josef Kraus ist Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Internet: lehrerverband.de


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