© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/06 07. April 2006

Vorletzte Dinge
Berlin: Christen und Politik / Tagung der Evangelischen Allianz
Anni Mursula

In einem Zeitalter, in dem das Christentum in Deutschland zu einer Religion unter vielen geworden ist und Christen zögern, Grenzen zu ziehen, herrscht vor allem Definitionsbedarf: Was bedeutet es, Christ zu sein, und welche Verantwortung haben Christen in der Gesellschaft? Über diese Frage diskutierten am vergangenen Wochenende in Berlin etwa hundert Menschen aus Wissenschaft, Politik und Kirche.

Das Forum "Christ und Politik" wurde von der Evangelischen Allianz, einer weltweiten Dachorganisation evangelischer Christen, in Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung organisiert. Ziel war es, verschiedene Politikfelder aus christlicher Perspektive zu beleuchten. Der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, Peter Strauch, merkte in seiner Rede an, daß Christen traditionell auf der Flucht vor der Welt seien. Viele von ihnen zögen sich aus Politik und gesellschaftlicher Verantwortung zurück, da sie sich als Christen nicht mehr zu dieser Welt gehörig fühlten. Außerdem konzentrierten sie sich auf das Wesentliche im Jenseits.

Es gebe aber auch Christen, die sich politisch engagierten und sich für die Welt einsetzten: Strauch erinnerte an Menschen wie den Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer, die gerade wegen ihres Glaubens eine verstärkte Verantwortung für weltliche Dinge spürten. "Dietrich Bonhoeffer unterschied zwischen letzten und vorletzten Dingen. Menschen haben niemals Letztes zu schaffen, die letzten Dinge sind das Wort Gottes und seine Zusagen, das Gericht und die ewige Herrlichkeit", sagte Strauch. Aber Bonhoeffer habe sich für die "vorletzten Dinge" entschieden, um in der Welt als Christ zu handeln. Er war bereit, aktiv gegen die nationalsozialistische Politik vorzugehen, die für ihn im Gegensatz zum christlichen Tötungsverbot stand.

Etwas mehr Verantwortung im Sinne Bonhoeffers wünscht sich der CDU-Bundestagsabgeordnete Hermann Gröhe auch heute von den Christen. Diese seien verantwortlich für die Gestaltung der Gesellschaft. "Wenn die Welt Gott nicht egal ist, dann kann sie uns auch nicht gleichgültig sein", sagte Gröhe.

Der nordrhein-westfälische CDU-Landtagsabgeordnete Volkmar Klein betonte, daß Christen vor allem Grenzen setzen müßten. In bezug auf Kulturunterschiede und Integration solle man nicht Toleranz mit Gleichgültigkeit verwechseln. Als Beispiel nannte er Zwangsehen: "Wir haben lange genug weggeschaut, und das hat die Probleme eher größer werden lassen." Wichtig seien Grenzen aber auch in der Gentechnik und Biomedizin. Gerade Christen trügen die Verantwortung, das Leben in allen seinen Stadien zu schützen.

Auch Thomas Rachel, parlamentarischer Staatsekretär im Bildungs- und Forschungsministerium und Bundesvorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, wies in seinem Vortrag über biomedizinische Herausforderungen darauf hin, daß Gentechnik ein zweischneidiges Schwert sei. Auf der einen Seite wolle man helfen und heilen - also christliche Nächstenliebe praktizieren. Aber auf der anderen Seite rechtfertige das Ziel nicht jedes Mittel. Die Würde des Menschen, vom Fötus bis zum Greis, dürfe bei der Forschung nicht verlorengehen.

In der Diskussion kamen aus dem Publikum immer wieder Vorschläge, wie Politik christlicher und werteorientierter gestaltet werden könnte. Daraufhin fragte Hermann Kues, parlamentarischer Staatssekretär im Familienministerium (CDU), warum diese engagierten Christen nicht ihrerseits politisch tätig würden. "Jeder muß sich anstrengen, als ob es von ihm selber abhängen würde." Reden helfe da wenig.


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