© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/06 07. April 2006

BRIEF AUS BRÜSSEL
Kerneuropa darf kein Bundesstaat sein
Andreas Mölzer

Der belgische Premier Guy Verhofstadt hat jüngst mit der Forderung aufhorchen lassen, die Mitglieder der Euro-Zone sollten sich 2007 zu einem Gipfel treffen, um über ihre "besondere Rolle" zu sprechen. Worin diese zu liegen habe, machte er bereits 2005 in seinem Manifest "Die Vereinigten Staaten von Europa" klar. Das Ziel sei die Schaffung eines europäischen Bundesstaates, die Mitglieder der Euro-Zone so etwas wie eine Avantgarde auf dem Weg dorthin.

Wie der flämische Liberale richtig feststellte, leidet die EU heute an innerer Zerrissenheit, was aber bei 25 Mitgliedern nicht verwundert. Erschwert wird die Lage dadurch, daß die Nettozahler längst die Grenzen ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit erreicht haben, während andererseits die Nettonehmer ständig nach mehr Geld aus Brüssel rufen. Und die Aufnahme der Türkei sowie des gesamten Balkans würde wohl das Ende der EU in ihrer heutigen Form bedeuten.

Die schon längst eingetretene Überdehnung der EU macht daher die Entwicklung hin zu einem Kerneuropa, zu einem Europa der zwei Geschwindigkeiten, unausweichlich. Abzulehnen ist allerdings der Vorschlag Verhofstadts, ein Kerneuropa um die Mitglieder der Euro-Zone zu gruppieren. Denn die Pläne der neuen Mitgliedstaaten, möglichst bald ihre nationalen Währungen durch den Euro zu ersetzen, lassen erwarten, daß die Euro-Gruppe in wenigen Jahren schon auf rund zwanzig Mitglieder anwachsen wird. Warum dann ein Gebilde in dieser Größenordnung besser funktionieren soll als heute die EU-25, ist völlig unklar.

Vor allem aber ist der Absicht, mit einer verstärkten Zusammenarbeit der Euro-Länder Druck auszuüben, um die abgelehnte EU-Verfassung doch noch in Kraft zu setzten, entschieden zu widersprechen. Denn das bedeutet nichts anderes als eine weitere Mißachtung des Willens der Bürger, wie ihn Franzosen und Niederländer stellvertretend für all jene Europäer zum Ausdruck brachten, denen von ihrer Regierungen eine Volksabstimmung verweigert wurde.

Die Gestaltung Kerneuropas muß daher auf den Willen der Bürger Rücksicht nehmen. Denn diese wünschen sich statt des Brüsseler Zentralismus mit seiner ausufernden Bürokratie, die sich in immer mehr Bereiche des täglichen Lebens einmischt, eine europäische Zusammenarbeit freier Staaten und Völker. Daher ist es unausweichlich, daß Kerneuropa seinen Mitgliedern die größtmögliche Souveränität im Inneren beläßt, weshalb statt eines zwanghaften Festkrallens an der EU-Verfassung die Ausarbeitung eines europäischen Grundlagenvertrages notwendig ist.

Kerneuropa kann nur funktionieren, wenn es einerseits die Fehler der heutigen EU vermeidet und andererseits seinen möglichen Mitgliederkreis geographisch klar begrenzt. Als potentielle Mitglieder kommen daher nur die EWG-Gründerstaaten, Österreich und allenfalls noch Länder der ehemaligen Habsburger Monarchie in Betracht. Ein weiteres Kriterium müßte die finanzielle Leistungskraft der "Kern"-Staaten sein, weshalb Kerneuropa auf Nettozahler beschränkt werden sollte. Und schließlich bedarf es vor allem des gemeinsamen Willens, den Traum der europäischen Einigung nicht aufzugeben und ein politisch handlungsfähiges Europa im globalen Spiel der Mächte des 21. Jahrhunderts zu schaffen.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.


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