© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/06 07. April 2006

Bau's noch einmal, Sam!
Historische Rekonstruktionen: Eine Podiumsdiskussion im Berliner Opernpalais
Jens Knorr

Die deutsche Bevölkerung schrumpft, durch ihre Städte gehen die Abrißbirnen und treffen Architektursünden wie Architekturdenkmäler gleichermaßen. Sie schaffen Raum, der nach Bebauung verlangt, und es gibt Initiativen verschiedener Couleur, die seine (historische) Wiederbebauung verlangen: in Berlin, Potsdam, Dresden, Frankfurt am Main, Hamburg und anderswo. Einige von ihnen hat letzten Mittwoch ein Podiumsgespräch, veranstaltet von der Gesellschaft Historisches Berlin und von deren Vorstandsvorsitzender Birgit Lucas moderiert, im Berliner Opernpalais unweit der Palastruine und des Phantomschlosses zusammengebracht.

Über den Stand der Bemühungen um die Potsdamer Garnisonkirche informierte kurz und knapp Burkhart Franck, Schriftführer der Fördergesellschaft für den Wiederaufbau, und wer wollte es einem Obersten a. D. verdenken, wenn er sich lieber den Geist des Soldatenkönigs denn den Geist Kattes in die Mauern hinein- und lieber die alte Wetterfahne denn das Nagelkreuz von Coventry auf das Dach des Gebäudes hinaufwünscht? Wenigstens einer seiner beiden Wünsche dürfte sich erfüllen.

Für Michael Schoene vom Verein Potsdamer Stadtschloß kann der historische Beschluß des Potsdamer Landtags, auf dem Alten Markt ein Parlamentsgebäude auf dem Grundriß und mit der Fassade des einstigen Stadtschlosses zu errichten, nur ein Anfang sein. Schoene will den Wiederaufbau des Stadtschlosses als Initialzündung für weitere Wiederaufbauten verstanden wissen, damit sich die Stadtmitte dem historischen Stadtbild wieder annähere. Und wer wollte es einem Potsdamer verdenken, wenn er sich das Parlament eines künftigen Bundeslandes Berlin-Brandenburg nicht in den Preußischen Landtag, sondern in das Potsdamer Stadtschloß wünscht?

Die Schwierigkeiten von Rekonstruktion und Wiederbebauung im Spannungsfeld von Bürger-, Politiker-, Architekten-, und Investoreninteressen machte der Vortrag von Torsten Kulke, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden, überdeutlich. Sie sollen so schön aussehen, wie sie früher einmal ausgesehen haben oder ausgesehen haben könnten, die Häuser am Neumarkt, jedes zu seiner und wenige zu gleicher Zeit, aber alle wie vor 1945. Doch ihre rekonstruierten oder den alten nachempfundenen Fassaden sind modern hochgezogenen Betonbauten vorgeklebt. Eigenmächtigkeiten finanzstarker Bauherren tun ein übriges, den Traum vom alten Dresden zu einem weiteren Alptraum von postmodernem Historismus verkommen zu lassen. Immerhin scheinen Straßenführung und Kubatur der bisher gebauten Gebäude den Vereinskriterien für ein historisches Stadtbild vom Neumarkt standzuhalten, die Kulke unbeirrbar gegen eine nicht näher erklärte "Moderne" in Stellung bringt.

Von einer einmaligen Chance, die der bevorstehende Abriß des Technischen Rathauses eröffnet, berichtete JF-Autor Claus Wolfschlag aus Frankfurt am Main. Die Bürgerinitiative "Pro Altstadt" setzt sich dafür ein, das Gelände in der Gassenanordnung und kleinteiligen Struktur des zerstörten Teils der Frankfurter Altstadt wieder aufzubauen. Daß die Altstadt zwischen Kunsthalle Schirn und Museum für Moderne Kunst, zwei Meisterbauten der Moderne, zu stehen käme, ängstigt hier keinen. Der Vorschlag des langjährigen Kulturdezernenten der Stadt, Hilmar Hoffmann, einen internationalen Architekturwettbewerb auszuschreiben, wird unter der Voraussetzung unterstützt, daß die Ausschreibung präzise städtebauliche und politische Vorgaben enthält. Der Gestaltungswille des Besitzers Bürgerschaft soll gegenüber den Interessen von Investoren und Fachleuten, deren Unterstützung und Rat gleichwohl angemahnt wird, Vorrang haben.

"Nur einen Herrn kennt die Kunst, das Bedürfnis", sagt Semper. Die Kritik der Bedürfnisse schließt immer auch die Frage ein, um wessen Bedürfnisse es denn gehe, wenn von Bedürfnissen die Rede geht. Nicht die Klasse der Bourgeoisie, wie noch Marx vermeinen mußte, und auch nicht deren unartige Kinder, die Achtundsechziger, wie einige Vorachtundsechziger vermeinen, haben alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört, sondern das unerbittliche Wirken der von Marx entdeckten Gesetze des warenproduzierenden Systems, das wir als neoliberale Globalisierung durchleben.

Ignoriert sie die ökonomischen Ursachen für das Verschwinden der alten Bürgerlichkeit, muß die Debatte um die neue Bürgerlichkeit eine Phantomdebatte bleiben. Citoyen wie Bourgeois und preußischer Militär gehören vergangenen Epochen an, deren Geist durch Abriß ihrer Häuser, Viertel, Schlösser und Paläste ebensowenig gebannt werden konnte, wie er in ihre Neubauten wieder einkehren würde.

Um Bauen und Bewahren wieder zusammen zu denken, um das Potential zur Neuerfindung der Architektur freizusetzen, das Rekonstruktion möglicherweise berge - so die Forderungen des niederländischen Architekten Rem Koolhaas -, genüge es nicht, Städtebewohner, Fachleute, Politiker und Investoren an einen Tisch zu bringen: Wir müssen wissen, was wir mit den Städten wollen!

Den Altstädten von Altenburg, Halberstadt, Quedlinburg und anderen mitteldeutschen Städten, gerade vor dem Verfall gerettet, droht der erneute Verfall. Architektur habe ja nur dann eine Berechtigung, wenn sie eine Utopie, die Vorstellung einer gesellschaftlichen Aufgabe formuliere, sagt Koolhaas. Wolfschlag stellte den Gedanken einer neuen Subsidiarität in den Raum.

Wer lediglich seiner eigennützigen Sehnsucht nach Bürgerlichkeit das passende Stadtbild verpassen lassen möchte, der sollte gleich auch den Wiederaufbau mittelalterlicher Stadtmauern, höher denn je, initiieren. Die wird er dringend benötigen, sich der Unbürger zu erwehren.


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