© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/06 14. April 2006

War nur so 'ne Idee
Multikulti ist passé, die Multikulturalisten bleiben: Wie ein verhängnisvolles utopisches Experiment in Deutschland Karriere machte
Kurt Zach

Tschuldigung Jungs, war nur so 'ne Idee von mir" - vergleicht man die fröhliche Multikulti-Euphorie der Meinungsmacher und Diskursideologen aus den Achtzigern mit den düsteren Tönen, die heute angeschlagen werden, fühlt man sich an diesen Karl-Marx-Cartoon der Wendezeit erinnert. Daß es inzwischen salonfähig ist, den Multikulturalismus für gescheitert zu erklären, heißt freilich noch lange nicht, daß seine Vordenker und Propagandisten schon die Fahnen gestrichen hätten.

Der erste Chefideologe der "multikulturellen Gesellschaft" war der Kirchenrat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für Ausländerfragen, Jürgen Miksch. Miksch gilt als "Erfinder" - in Anbetracht der langen angelsächsischen Vorgeschichte wohl eher als Importeur - des Multikulturalismus für Deutschland. Eingeführt hat er den Begriff offenbar erstmals im Jahr 1978 als Redenschreiber des damaligen hessischen Ministerpräsidenten Holger Börner.

Einer breiteren Öffentlichkeit wird der Multikulturalismus am 24. September 1980 verkündet. An diesem Tag veröffentlichte der "Ökumenische Vorbereitungsausschuß für den Tag des ausländischen Mitbürgers" Thesen für den Ausländertag 1980, die mit dem Satz begannen: "Wir leben in der Bundesrepublik Deutschland in einer multikulturellen Gesellschaft." Um die EKD, die eine Vorreiterrolle übernahm, formierte sich eine Multikulturalismus-Lobby, in der Gewerkschaften, Wirtschaftskreise, "Achtundsechziger" und vorhandene wie neuentstandene linke und liberale Gruppen das Wort führten.

Multikulti-Bürokratie ist perfekt eingespielt

"Achtundsechziger" wie Daniel Cohn-Bendit entdeckten den Multikulturalismus rasch als nützliches Vehikel für den "Marsch durch die Institutionen" und die eingewanderte neue Unterschicht als Ersatzproletariat für die Aufpolierung der eigenen marxistischen Vorurteile. Bald erkannte man, daß die Schaffung neuer, nur für Gesinnungsgenossen reservierter Institutionen noch effektiver ist als die Besetzung vorhandener. Spätestens mit dem Aufstieg der Grünen, die sich auch der gutorganisierten Netzwerke der Multikultur-Lobby bedienen konnten, wird Multikulturalismus zum Karrierevorteil. 1989 wird Daniel Cohn-Bendit in Frankfurt Deutschlands erster "Dezernent für multikulturelle Angelegenheiten"; weitere Großstädte zogen nach.

Posten bringen Macht, und Macht bringt den Zugriff auf Staatsknete, die noch mehr Einfluß schafft. Öffentliches Geld wurde in den Neunzigern nicht nur inflationär für die Propagierung einwanderungsfreundlicher Haltungen und die Diffamierung kritischer Stimmen ausgegeben, sondern auch für die Schaffung von Stellen und Apparaten für Ausländerbeauftragte, Sozialarbeiter, Migrationsforscher usw., die sich gegenseitig die Notwendigkeit einer Ausweitung ihrer Aktivitäten bescheinigen.

Diese Multikulti-Bürokratie ist inzwischen so umfangreich herangewachsen und perfekt eingespielt, daß sie selbst aus dem Scheitern der zugrunde liegenden Ideologie noch Profit ziehen kann: Wo die Risiken und Nebenwirkungen der multikulturellen Gesellschaft unübersehbar werden, ertönt als erstes der Ruf nach neuen Studien und mehr Sozialarbeitern. Der Mechanismus funktioniert bis heute.

Während die linksgestrickte Meinungselite samt der am zähen Beharrungsvermögen des CDU-Kanzlers aus der Pfalz verzweifelnden rot-grünen Opposition sich mit dem Ausbau dieser Bürokratie über die Schmach der ungewollten Wiedervereinigung trösten konnte und den Traum vom "Nie wieder Deutschland" auf dem Umweg über die Auflösung des verfassungtragenden Staatsvolkes in einer multikulturellen Mischbevölkerung zu realisieren trachtete, blieben die gemeinhin als "konservativ" angesehenen Unionsparteien eine fundierte Gegenposition zum Multikulturalismus ebenso schuldig wie die zu Oppositionszeiten einst im Wahlkampf versprochene "geistig-moralische Wende". Das nimmt kaum wunder: Mit Heiner Geißler und Rita Süssmuth hatte die CDU schließlich zwei profilierte Aushängeschilder des Multikulturalismus in ihren eigenen Reihen. Ex-Generalsekretär Geißler malte sich in seinem Buch "Zugluft - Politik in stürmischer Zeit" im Wendejahr 1990 die erhoffte "kulturelle Bereicherung" in den leuchtendsten Farben aus: ein buntes, friedliches Nebeneinander der "Kulturen", wo jeder mit jedem oder jeder könne. Die einstige Bundestagspräsidentin Süssmuth dagegen symbolisierte als Vorsitzende der von Kanzler Schröder eingerichteten Zuwanderungskommission die Große Koalition der Einwanderungsbefürworter.

Kritische Stimmen zu Einwanderung und Multikulturalismus waren unter dem geballten Druck von Lichterketten und "Aufstand der Anständigen" während der Neunziger weitgehend neutralisiert und marginalisiert worden. Rot-Grün konnte daher das Thema mit nahezu uneingeschränkter Lufthoheit angehen, die auch von einzelnen Profilierungsversuchen der Unionsparteien zu Wahlkampfzeiten nicht ernsthaft beeinträchtigt werden konnte. Die grüne Parteichefin und "Bundesbetroffenheitsbeauftragte" Claudia Roth und ihr Kollege Volker Beck hatten freies Schußfeld. Letzterer wurde zwar beim Aushandeln des "Zuwanderungsgesetzes" mit der Union durch Innenminister Otto Schily in seinem Reformeifer gebremst, doch wurde die grüne Seite mit einer milliardenschweren Subvention der eigenen Klientel in der Multikultur-Bürokratie über sogenannte "Integrations"- und Sprachkurse großzügig entschädigt. Marieluise Beck als Ausländerbeauftragte durfte flankierend in ihren Berichten regelmäßig weitere Integrationsbemühungen von staatlicher Seite anmahnen - und damit noch mehr Mittel für die Multikulturalismusbürokratie.

Das hätte immer so weitergehen können, wäre nicht zu guter Letzt doch noch die Realität in Form von islamistischen Attentaten, von Gewaltausbrüchen in den Vorstadt-Ghettos unserer Nachbarländer, Pisa-Schock und vor der Integrationsverweigerung eingewanderter Parallelgesellschaften kapitulierenden Hauptschulen so massiv dazwischengekommen, daß es sich nicht mehr ignorieren ließ. Bestürzt mußten Feministinnen wie Alice Schwarzer und Homosexuellen-Lobbyisten wie Volker Beck feststellen, daß ihre emanzipatorischen Vorstellungen von vielen der gehätschelten Einwanderer abgelehnt und angegriffen werden.

Gegenwind erfahren die Multikulturalisten zu Beginn des 21. Jahrhunderts zunehmend aus Milieus, derer sie sich bisher sicher glaubte: von Praktikern wie dem Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, der den Multikulturalismus für "gescheitert" erklärt (JF-Interview 11/05), oder von aufgeklärten Einwanderern wie der Türkin Necla Kelek, die von spezifisch deutschen Denkverboten unbeeindruckt bleiben.

Die Tonlage hat sich geändert: Wer von der multikulturellen Utopie nicht lassen will, mischt jetzt nachdenkliche Wermutstropfen in den vormals so gepriesenen Wein. Multikultur bedeute auch "Streß, den wir aushalten müssen", sagt neuerdings der Grünen-Vorsitzende Fritz Kuhn; und Alt-Multikulturalist Cohn-Bendit malt nicht mehr fröhliche Visionen von bunter Eintracht an die Wand, sondern raunt: "Die multikulturelle Gesellschaft ist hart, schnell, grausam und wenig solidarisch, sie ist von beträchtlichen sozialen Ungleichgewichten geprägt (...) Sie hat die Tendenz, in eine Vielfalt von Gruppen und Gemeinschaften auseinanderzustreben und ihren Zusammenhalt sowie die Verbindlichkeit ihrer Werte einzubüßen."

Wer so redet, verläßt sich darauf, daß der Multikulturalismus, den man den Deutschen bei seiner Einführung als unausweichliche Notwendigkeit schmackhaft machen wollte, nach Art einer sich selbst erfüllenden Vorhersage inzwischen tatsächlich dazu geworden ist. So läßt sich trefflich philosophieren, solange man die Folgen nicht am eigenen Leibe spürt. Es liegt an den stärker und zahlreicher werdenden Gegnern des Multikulturalismus, ob sie dessen geistige Brandstifter, Schreibtischtäter und Mitläufer in dieser diskursiven Auffangposition ausruhen lassen wollen. Wenigstens mit der Dreistigkeit, als Reaktion auf das selbstgemachte Desaster noch mehr Subventionen für die eigene Multikultur-Bürokratie zu fordern, sollten sie nicht davonkommen.

Ausländer in Deutschland

1960 750.000

1970 2,9 Mio

1980 4,5 Mio

1990 5,4 Mio

2000 7,2 Mio

2004 7,3 Mio

Seit dem Jahr 2000 gilt in Deutschland ein neues Staatsangehörigkeitsrecht, das Einbürgerungen erleichtert und hier geborenen Ausländerkindern praktisch ein Anrecht auf Einbürgerung bringt. Allein zwischen 2002 und 2004 wurden 422.431 Ausländer eingebürgert.

 

Multikulturalisten
- Geißler/Süssmuth-Gruppe -

Wegen Beteiligung an der Verharmlosung und dem Gesundbeten der Folgen der unge-bremsten Masseneinwanderung nach Deutschland müssen sich politisch vor den Wählern oder wenigstens durch vorläufigen Talkshow-Verzicht verantworten:

Heiner GEISSLER,  Rita SÜSSMUTH,  Heribert prantl,  Claudia ROTH,  Joseph FISCHER,  D. COHN-BENDIT,  Jürgen HABERMAS,  Friedbert PFLÜGER,  Jürgen SCHMUDE,  Dieter OBERNDÖRFER,  S. Leutheusser-Schnarrenberger,  Barbara John

Vorsicht! Sie haben es gut gemeint!


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen