© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/06 14. April 2006

Es inszeniert: Herr von Faninal
Bedeutungsschichten in der Komischen Oper Berlin: Richard Strauß' "Rosenkavalier"
Jens Knorr

Angenehme Unterhaltung hat Intendant Andreas Homoki dem Premierenpublikum versprochen, und Regisseur Andreas Homoki hat es sich und seinem Intendanten einfach, allzu einfach gemacht, das Versprechen auch zu halten.

Homoki hat einen "Rosenkavalier" wie aus dem Opernführer inszeniert: Der Junge sticht den Alten bei der Jungen aus, und die Alte verliert den Jungen an die Junge. Doch weil Hofmanns-thals Libretto mehr als einen Text anbietet und Straussens Partitur mehr als nur eine Musik, weil hinter, unter, neben der manifesten Bühnenaktion und ihren Figurenkonstellationen andere Bedeutungsschichten liegen, weil die "Komödie mit Musik" von den Rätseln der Zeit und der Identität handelt, haben Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann und Kostümbildner Gideon Davey deren Vergehen zu bebildern versucht. Das Schlafzimmer der Feldmarschallin zur Regierungszeit Maria Theresias ist derselbe Saal im Hause des Herrn von Faninal zur Entstehungszeit der Oper ist derselbe Saal zur Zeit des Weltkriegs, des Ersten oder Zweiten, oder auch zur Nachkriegszeit, wie die Kostüme nahelegen. Der in die Bühne hineingestellte Einheitsraum steht im ersten Aufzug fest und sicher, im zweiten schief, und im dritten Aufzug steht er kopf. Nicht aber die Figuren, die sich wie eh und je den Gesetzen der Gravitation beugen.

Homoki hat mit handwerklichem Geschick das gute alte Stück aufgemöbelt und tradierte Rollenklischees neu aufgelegt. Wo Strauss und Hofmannsthal die Psychologie der handelnden Personen nur Darstellungsmittel, nicht Ziel war, da wird sie Homoki zum Selbstzweck. Aber die Zeit, sie ist nicht nur um uns herum wie der Tod, der in Gestalt des italienischen Sängers in das Schlafzimmer tritt, oder wie der teuflische Geschützdonner von Verdun, der platterdings per Tontechnik das gottverfluchte Extrazimmer frequentiert - die Zeit ist auch in uns drinnen. Die Inszenierung zeigt statt des Gleichzeitigen im Ungleichzeitigen wieder nur den "Gänsemarsch der Epochen" und erfüllt so die Angstvision der Marschallin, es könne kein Vorher und Nachher, sondern nur noch ein sinnentleertes Zugleich geben, in dem nicht alles gleich gültig, sondern gleichgültig würde.

Die einzige Gestalt, die bei Hofmannsthal und Strauss nicht ist, sondern wird, wie ihr Name Werdenberg verheißt, und die als einzige die Zeiten überspringt, sie hat keinen lösenden Auftritt, sondern kommt als unerlöste Geistererscheinung aus dem Rokoko in den Bunker des dritten Aufzugs, wirkt eine Weile inkommodiert, bricht später zusammen, stößt ihre alte Hülle ab, steht auf und geht, irgendwie mit sich selbst identisch und um eine silberne Rose ärmer. Da hätte sie sich ihre großen Monologe im ersten Aufzug eigentlich sparen können.

Der Partitur ergeht es im Orchestergraben wie dem Bett der Marschallin und den Möbeln des reichen Neugeadelten auf der Bühne: sie wird präsentiert, aber wenig gebraucht. Auf Augenblickswirkung aus, verfehlt Kirill Petrenko so viele Augenblicke, die doch zuförderst musikalisch festzuhalten gewesen wären.

Das Ganze war halt eine Farce und weiter nichts. Und ein Ende der Scheinhaftigkeit ist nicht abzusehen.

Die nächsten Vorstellungen an der Komischen Oper Berlin, Behrenstraße 55-57, finden statt am 16., 22. und 30. April sowie am 10. und 21. Mai. Kartentelefon: 030 / 47 99 74 00

Foto: Die Feldmarschallin (Geraldine McGreevy): Kein Vorher und Nachher, nur ein sinnentleertes Zugleich


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