© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/06 21. April 2006

Quadratur des Kreises
Die iranische Atombombe zu verhindern, ist gefährlicher, als es nicht zu tun
Günther Deschner

Säbelrasseln in den USA, Kraftmeierei in Teheran, Aufmarsch der US-Flugzeugträger und Manöver der iranischen Armee. Den Medien werden Kriegspläne zugespielt, auf dem internationalen Parkett wird der "Kampf gegen den Terror" mit dem "Kampf gegen die Tyrannei" veredelt. Die Aggressionsrhetorik von Präsident Ahmadinedschad wirkt dagegen plump. Seine Tiraden gegen das "zionistische Gebilde" lassen ihn gefährlicher erscheinen, als er vielleicht ist.

Sein Festhalten am Atomprogramm trägt zur Solidarisierung der Iraner mit ihrer nicht unbedingt geliebten Führung bei. Daß Atomwaffen gefährlich sind, gilt auch für die Bomben Pakistans, Indiens und Israels. Aber wegen der möglichen Unterstützung islamistischer Desperados gilt es den USA als ausgemacht, daß Atomwaffen im Falle Iran von vornherein "in falschen Händen" wären. Für den Stolz der Iraner ist dies ein weiterer Fall westlicher Arroganz: Sie weisen darauf hin, daß die Islamische Republik Iran noch keinen einzigen Krieg begonnen hat. Wohl aber wurde das Land 1980 mit Unterstützung des Westens vom Irak auch mit Massenvernichtungswaffen angegriffen und konnte nur unter schwersten Verlusten sein Gebiet verteidigen. Die nukleare Komponente gilt daher als einzig wirksames Mittel der Abschreckung.

Auch Kritiker Ahmadinedschads können der Logik des Westens nicht folgen: Die USA verfügen über mindestens 4.000 Atombomben, Israel über 200 oder mehr. Doch der Iran soll daran gehindert werden, sich die eine Atombombe zu beschaffen. Ob er sie wirklich will, ist nicht sicher, aber naheliegend. Hegemoniale Entwürfe der USA, wie sie im "Projekt für ein neues amerikanisches Jahrhundert" formuliert worden sind, haben in Teheran Angst geweckt. In der Zielprojektion Washingtons, die Rohstoffvorräte dieses Planeten zu kontrollieren und jeden potentiellen Konkurrenten auch mittels Angriffskriegen niederzuhalten, sieht sich Teheran als nächstes Opfer. Die USA und Israel gehen mit Kriegsdrohungen gegen den Iran seit Jahren sehr freigebig um, nicht erst seitdem der Scharfmacher Ahmadinedschad Präsident ist. Vieles deutet sogar darauf hin, daß die Feindseligkeit gegen den Iran erst den Ausschlag für seine Wahl gegeben hat.

Man weiß, daß der Kriegsplan des Pentagon gegen den Iran im selben Jahr ausgearbeitet worden ist wie der gegen den Irak. Am Beispiel des US-Angriffs von 2003 auf den Irak konnte man ablesen, wie man mit einem souveränen Staat umspringen kann, der nicht über Nuklearwaffen verfügt. Das Argument wird selbst von israelischen und US-Analysten gesehen. Pentagon-Berater Thomas Barnett etwa hält "das Streben des Iran nach der Atomwaffe für ganz natürlich, nachdem die USA zwei an den Iran grenzende Regimes stürzten - Afghanistan und Irak".

Das Desaster der USA im Irak und die aussichtslos erscheinende "Stabilisierung" Afghanistans lassen die Diskussion in Washington erheblich differenzierter verlaufen, als dies vor dem Irak-Krieg der Fall war. In den politischen Lagern sieht man übereinstimmend, daß keine der denkbaren Optionen zur Abwehr der "iranischen Bedrohung" den Erfolg garantieren kann.

Da sind zunächst die diplomatischen Bemühungen (EU, Uno), verbunden mit einem Katalog zunehmender Sanktionen. Sie allein werden wenig Wirkung zeigen, denn der Iran lebt seit 27 Jahren mit Sanktionen der USA. Der Versuch, durch Unterstützung der iranischen Opposition (Kurden, Araber, Monarchisten, Demokraten) einen Regimewechsel herbeizuführen, könnte zu einer weiteren Fragmentierung à la Irak führen.

Die rein militärische Option stößt selbst bei Verbündeten der USA auf wenig Zustimmung und ist mit gefährlichen Unwägbarkeiten verbunden. Iranische Vergeltungsschläge könnten dramatische Folgen haben: Die Sperrung der Straße von Hormus, durch die zwei Fünftel der weltweiten Öllieferungen laufen, würde mit dann erwarteten Barrel-Preisen von 130 Dollar zu dem berüchtigten "Peak Oil" führen, dem Ende des "billigen" Öls. Auch eine dramatische Zunahme des Widerstands im Irak stünde an, wenn die iranischen Mullahs ihre bislang ruhig gehaltenen schiitischen Glaubensbrüder im Irak von der Leine ließen. Auch der regionale und internationale Terror bekäme über Nacht eine neue, größere Dimension.

Irgendwie müßte Washington also eine politische Quadratur des Kreises schaffen. US-Präsidenten sind für solche Kunststücke nicht berühmt. Aber in ihren Denkfabriken sitzen auch sehr kluge Köpfe. Einige von ihnen betreten nun kühne Pfade: Wenn der Iran - so kann man derzeit lesen - auf konventionelle Weise nicht davon abgehalten werden kann, sich die nukleare Dimension zu erschließen, und wenn das Risiko eines militärischen Prävenire zu hoch erscheint, bliebe nur noch der Ausweg, den Iran als Atomstaat zu isolieren, um ein nukleares Wettrüsten in der Region zu vermeiden. Die USA, so analysierte der israelische Strategieexperte Udi Evental, könnten dann auch Israel einen Beitrag zur Schaffung einer atomwaffenfreien Nah-Mittelost-Region leisten lassen, wie die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) bereits im Februar vorgeschlagen hatte. Gleichzeitig müßten die USA einen nuklearen Schirm über Israel spannen. Gibt es also doch noch eine Chance für den Frieden?


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