© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/06 21. April 2006

"Ein Sieg der gesamten islamischen Nation"
Naher Osten: Die radikal-islamistische Palästinenser-Organisation Hamas ist Teil einer weltweiten antiwestlichen Bewegung
Ivan Denes

Die Uno hat letzte Woche angekündigt, die Zusammenarbeit mit der nun von der radikal-islamistischen Hamas-Bewegung geführten palästinensischen Autonomiebehörde (JF 6/06) einzuschränken. Nur die "Arbeitskontakte" würden fortgesetzt, damit die "humanitäre Arbeit" weitergehen könne. Zuvor hatten die EU und die US-Regierung angekündigt, ihre Zahlungen einzustellen. Nur "humanitäre Hilfe" solle weiter fließen, so die EU-Kommission.

Den Palästinensern werden weiter Gelder zufließen

"Wir müssen sehr strikt zur Hamas sein," meinte der tschechische Außenminister Cyril Svoboda am Rande eines EU-Treffens. Schließlich erkennt die Hamas Israel nicht an und wird von der EU als Terrororganisation eingestuft. "Wir sollten irgendeine Verbindung offen lassen, weil es eine Regierung ist, die demokratisch gewählt wurde", gab aber gleichzeitig Svobodas slowenischer Amtskollege Dimitrij Rupel zu bedenken. Und in der Tat kann es wenig Zweifel daran geben, daß trotz gegenteiliger Rhetorik die Gelder an die Palästinenser wieder fließen werden. Rußland hat laut einem Iswestija-Bericht schon zehn Millionen Dollar zugesagt.

"Wenn die Hilfen wegfallen und wenn dies in der nahen Zukunft so weitergeht, wird das Land eine humanitäre Katastrophe erleben", warnte Irans Außenminister Manutschehr Mottaki letztes Wochenende auf der Teheraner Palästina-Konferenz. Der Finanzbedarf der Regierung beträgt laut Hamas 170 Millionen Dollar pro Monat - davon 115 Millionen für die Gehälter der etwa 140.000 öffentlichen Angestellten.

Genaue Finanzzahlen gibt es angesichts der Vielfalt der Kanäle nicht. Allein im letzten Jahr flossen etwa 500 Millionen Euro aus der EU in die Palästinensergebiete - 289 Millionen Euro aus dem EU-Etat, der Rest jeweils aus den einzelnen Mitgliedstaaten. Die USA zahlten 2005 zirka 380 Millionen Dollar (etwa 310 Millionen Euro). Insgesamt wurden 2005 schätzungsweise 1,5 Milliarden Euro (über 1,8 Milliarden Dollar) für Palästina aufgewendet.

Die Grundsatzfrage aber, warum der ansonsten so verhaßte "Westen" und nicht die in einer Dollarflut steckenden Ölländer ihre arabischen Glaubensbrüder in den Palästinensergebieten finanziell nicht mehr unterstützen, wird allerdings nicht gestellt. Auch bei der jüngsten islamischen Geberkonferenz in Teheran haben die Islamische Republik Iran und das Öl-Emirat Katar lediglich Finanzhilfen in Höhe von 50 Millionen Dollar (41,6 Millionen Euro) zugesagt, Syrien rief seine Bürger zu Spenden auf.

Dabei wäre der Wahlsieg der Hamas Anlaß genug, die Finanzfrage zu stellen. Denn im Gegensatz zur ursprünglich arabisch-sozialistischen PLO und der Fatah ("Bewegung zur nationalen Befreiung Palästinas") des verstorbenen Palästinenserchefs Jassir Arafat ist die "Islamische Widerstandsbewegung" Hamas eine Gründung der fundamentalistischen Muslimbruderschaft. Und in der 1988 formulierten Hamas-Charta heißt es nicht nur, "Israel wird aufsteigen und solange bestehen, bis der Islam es eliminiert hat" und die Befreiung Palästinas sei für jeden Moslem "die höchste persönliche Pflicht", sondern die Hamas sei zugleich "einer der Wege der Muslimbruderschaft in Palästina".

Diese einflußreiche sunnitisch-fundamentalistische Bewegung wurde 1928 von dem Volksschullehrer Hassan al-Banna in Ägypten gegründet. Obwohl offiziell verboten, wurden die Kandidaten der Muslimbrüder unter dem Wahlspruch "Der Islam ist die Lösung" bei den ägyptischen Parlamentswahlen 2005 stärkste Oppositionskraft (JF 48/05). In Algerien gewann 1991 der inoffizielle Muslimbrüder-Ableger FIS die Wahlen, woraufhin diese annulliert wurden. In Syrien sind sie stärkste Oppositionskraft gegen das arabisch-nationalistische Baath-Regime.

In einem Interview mit der Londoner Zeitung Asharq al Awsat sagte der derzeitige Chef der Muslimbrüder, der Sieg der Hamas sei kein lokaler Sieg, sondern "ein Sieg der islamischen Nation in ihrer Gesamtheit". Die gesamte Muslimbruderschaft agiere "in der internationalen Arena aufgrund einer geschriebenen Plattform - in der der Dschihad als der Weg beschrieben wird, auf dem wir unsere Ziele erreichen werden", so der Ägypter Mohammed Mahdi Akef. "Wir haben die größte Organisation der Welt".

"Wir haben die größte Organisation der Welt"

Und in der Tat: Das Netz politischer und terroristischer Untergliederungen der Muslimbruderschaft, die das 1924 aufgelöste islamische Kalifat wiederherstellen will, erstreckt sich von Indonesien bis Mauretanien und Nigeria. Auch in Europa gibt es Ableger. In Ägypten oder im Sudan versucht man, mit demokratischen Mitteln ein islamistisches Regime an die Macht zu bringen. Wo keine unmittelbaren Erfolgsaussichten bestehen, setzt man auf Gewalt - nach dem Motto: "Sterben auf dem Wege Allahs ist unsere größte Hoffnung".

Der im Exil lebende Hamas-Führer Chalid Maschaal gab Anfang Februar in einer Moschee in Damaskus klar zu erkennen, daß er weit über Palästina hinaus denkt: "Wir sagen diesem Westen, der nicht vernünftig agiert und seine Lektionen nicht lernt: Bei Allah, ihr werdet besiegt", und dann "wird unsere Nation auf dem Thron der Welt sitzen".


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