© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/06 21. April 2006

Wo Welten aufeinanderpralle
Ausweg, Umweg, Irrweg: Die Komische Oper Berlin präsentiert "Cross Culture" mit Mozart
Walter Grav

Mozart, so scheint es, hat in diesem Jahr der Feierlichkeiten zu seinem 250. Geburtstag einiges auszuhalten. "A Hip H'Opera(c) - Così fan tutti" lautet der Titel einer neuen, mit vielen Hip-Hop-Elementen versetzten Fassung von Mozarts Oper "Così fan tutte", die kürzlich in der Komischen Oper Berlin Premiere feierte. In der Ankündigung des Theaters hieß es dazu: "Ein Cross-Culture-Projekt ist eine Verbindung von klassischer Musiktheaterproduktion und Jugendprojekt. Hip-Hop-Kultur und Oper - Rap mit Rezitativen, Arien mit Hip-Hop Songs - werden verschmolzen."

Den Machern war es wichtig, den Projektcharakter des Ganzen hervorzuheben und darauf hinzuweisen, daß die künstlerische Qualität nicht als das Hauptkriterium der Inszenierung angesehen werden könnte. Wer das traditionsreiche Haus besucht, welches von Walter Felsenstein zu internationalem Ruhm geführt worden ist, kann sich von einer eher qualitätsorientierten Seh- und Hörweise sicherlich kaum freimachen. Was wurde da eigentlich miteinander im Schmelztiegel verrührt?

Frei übersetzt: das Kreuz mit der Kultur

Hip Hop: Anfang der siebziger Jahre im 20. Jahrhundert ist Hip Hop als eine Randbewegung jugendlicher Afroamerikaner entstanden. Geld für teure Instrumente oder gar Musikunterricht war nirgends vorhanden. So wurde der Plattenspieler zum Musikinstrument. Der bekannteste und wichtigste Effekt bis heute ist das Scratchen. Ein zusätzliche Weiterentwicklung fand statt durch die Einbeziehung von MCs (Master of Ceremony), die mit gereimten Sprüchen um die Gunst des Publikums kämpften. Da die Bewegung (hop) angesagt (hip) war, wurde sie Hip Hop genannt.

Così fan tutte: Die Oper entstand im Auftrag des Kaisers, der 1790 durch die Wiederaufnahme von "Figaros Hochzeit" in der Wiener Hofoper erneut auf Mozart aufmerksam geworden war. Das Stück wurde auch in Berlin immer wieder gespielt, erstmals 1792 unter dem Titel "Eine macht's wie die andere", später als "Weibertreue", schließlich als "Die verfängliche Wette", bis 1846 L. Schneider die heutige Fassung ("So machen's alle") herstellte.

"Alle diese Bearbeitungsversuche", schreibt Hermann Abert in seinem bedeutenden Mozart-Buch, "leiden an dem verhängnisvollen Grundfehler, daß sie der Mozartschen Musik, um sie zu 'retten', ihre eigentliche Grundlage, nämlich den angestammten Text mehr oder weniger entziehen. Das ist bei einem Dramatiker wie Mozart unter allen Umständen von Übel (...) und wir retten darum die Musik nicht, wenn wir sie von diesem Grunde lösen, sondern rauben ihr geradezu jeden Sinn und uns selbst um billiger äußerer Wirkung willen den Genuß, den ein organisch gewordenes, einheitliches Kunstwerk gewährt."

Damit sind wir mittendrin in den Schwächen der aktuellen Inszenierung. Denn das Gesamtkonzept und die dramaturgische Lesart von Markus Kosuch zerstört bewußt von Anfang an jeglichen möglichen Genuß dadurch, daß beide Ebenen (die Oper und die Hip-Hop-Kultur) in ihrem ursprünglichen Sinn beschädigt werden, und keine in ihrer Sphäre wirken und sich entfalten kann. Was da zwei endlose Stunden sich über die Bühne quält, ist beschnitten, eingeebnet, gestutzt und verkrüppelt. Surrogat statt Kunst, Margarine statt guter Butter, Comic statt Literatur.

Analogien zu dem Trauerspiel um die deutsche Rechtschreibung stellen sich her: Niemand bemüht sich, tiefer in die Feinheiten und Regeln der eigenen Sprache einzudringen, sondern die Sprache wird vereinfacht und dem abnehmenden Lernen-Wollen angepaßt. Auch die jugendlichen Tänzer und Sänger, die sich aufgrund einer Anzeige gemeldet haben, nähern sich nicht Mozart und seiner himmlischen Musik an, sie diskutierten ausweislich ihrer Selbstaussagen im Programmheft über Themen wie Treue, Flirt, Schüchternheit, Spiel, Unerfahrenheit usw.

Im Schmelztiegel wird Ungenießbares angerührt

Nina von Möllendorf, Vanessa Barkowski und vor allem Hans Griepentrog zeigen trotzdem, daß sie respektable Sänger-Darsteller sind. Ihnen gebührt ein Kompliment für den Mut, sich an einer derartigen Produktion zu beteiligen.

Die Rapper Bobmalo und FlowinImmO haben eine starke Bühnenpräsenz und den Charme der Jugend auf ihrer Seite. Nur wenn sie nicht umhinkönnen, ein wenig an Mozart mitzusingen, was sie mit Witz und musikalischem Instinkt, aber ohne jedes Können irgendwie hinkriegen, wird die Fallhöhe hörbar, auf der die verschiedenen Arten von Kunst stattfinden.

Die Neukompositionen des Dirigenten Chatschatur Kanajan bestehen aus ein paar wenigen Orchestereinwürfen und etlichen kurzen tracks, die auf dem Laptop endlos wiederholt werden. Leider dirigiert der Komponist auch noch selbst. Jeder deutsche Kapellmeister, der mit Mozart aufgewachsen ist und in langjährigem Studium sein Handwerk gelernt hat, hätte es besser gemacht. Der armenische Geiger Kanajan, der die Grundregeln der Dirigentenzunft nicht beherrscht und hörbar und sichtbar noch nie ein Mozart-Rezitativ gestaltet hat, vergräbt den Kopf in die Partitur und hilft dem sehr respektablen Orchester des Musikgymnasiums "Carl Philipp Emanuel Bach" und den Sängern kaum. Wie solche höchst problematischen Personalentscheidungen in so einem wichtigen Opernhaus zustande kommen, wird Außenstehenden immer ein Rätsel bleiben müssen.

Schon einmal hat die Komische Oper mit der Tango-Operita "María de Buenos Aires" mit der Musik von Astor Piazzolla ursprüngliches Lebensgefühl und dessen authentische Widerspiegelung durch Musik in einen beziehungslosen Beziehungsmix aus zweiter Hand verwandelt und damit einen großen Publikumserfolg gelandet. Auch diesmal war das Haus voll und der Erfolg riesig, aber dieser Erfolg galt doch nicht der Kunstgattung Oper, sondern einer peinlichen Anpassung an den Zeitgeschmack auf Mozarts Kosten. Schade.

Foto: Don Alfonso (H. Griepentrog), Despina (J. Shakeri): Mozart ist vieles, aber gewiß nicht "angesagt"

Komische Oper Berlin, Behrenstr. 55-57, Telefon: 030 / 47 99 74 00


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