© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/06 28. April 2006

Fundamentalisten
von Peter Lattas

Der israelische Vizepremier Schimon Peres hat die Richtung vorgegeben: Der iranische Präsident Ahmadinedschad soll der neue "Hitler" sein. US-Außenministerin Condoleezza Rice bastelt schon an der "Koalition der Willigen", um den aktuellen Weltfeind aufs Haupt zu schlagen. Denn der Iran will sich dem Ultimatum des Weltsicherheitsrats nicht fügen, sondern sein Uranprogramm weiterführen. Der und die Atombehörde IAEO seien nur "Hampelmänner" in den Händen weniger Staaten, höhnt der Mann, der selbst als Hampelmann der Mullahs gern in verbale Kraftmeierei flüchtet.

Realpolitisches kommt derzeit aber aus dem früheren "Reich des Bösen". Rußland ist sich zwar mit den USA einig, daß Neulinge im Atomclub unerwünscht sind. Gleichzeitig versucht die Moskauer Diplomatie, Teheran eine gesichtswahrende Hintertür zur zivilen Kernkraftnutzung zu öffnen. Verteidigungsminister Sergej Iwanow will zudem Abwehrraketen zum Schutz von Atomanlagen und Regierungsgebäuden an den Iran liefern. Das ist kein Widerspruch. Rußland hat nicht nur - wie Europa und China - gesteigertes Interesse an Erdöl und Petrodollars aus Iran. In Moskau weiß man auch, daß nicht jeder Interessenkonflikt gleich ein Armageddon ist und daß politische Kompromisse nur finden kann, wer den Gegner nicht dämonisiert.

Fundamentalistische Rhetorik - egal, woher - ist dagegen brandgefährlich, weil sie den Urheber selbst unter Zugzwang setzt. Die Bundeskanzlerin täte gut daran, ihre US-Zuneigung zu bändigen und sich an der russischen Realpolitik ein Beispiel zu nehmen.


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