© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/06 28. April 2006

Das glückliche Ende einer Flucht
Enteignungen I: Das Beispiel der Familie von Below zeigt, welche Impulse in Mitteldeutschland aus der Rückkehr von Alteigentümern entstehen können
Curd-Torsten Weick

Etwas verhalten betritt das ältere Ehepaar das an eine Baustelle erinnernde Gelände des vormaligen Schlosses Döben. Doch freundlich ruft die neue "Schloßherrin" Dorothea von Below den Besuchern zu, näherzukommen: "Schauen Sie sich in aller Ruhe um!" Das Ehepaar erklärt, über die offene Art erfreut, bereits öfter hier gewesen zu sein, und äußert sich begeistert über die Fortschritte bei den Aufräum-, Rekonstruktions- und Wiederaufbauarbeiten. Denn außer Sprengschutt und Wildwuchs war von dem weiträumigen Schloß nebst Rittergut nichts mehr übrig, als sich Hubertus und Dorothea von Below Anfang der neunziger Jahre des verlorenen Ortes in der Nähe der sächsischen Kleinstadt Grimma annahmen.

Dabei kann jeder Stein viel über die bald tausendjährige Geschichte des Areals erzählen: die Geschichten vom Freud und Leid derer von Luppa, die dort bis ins Jahr 1440 lebten, derer von Maltitz, von Hirschfeld, von Kanitz, von Arnim und von 1783 bis zum Jahr 1945 der Familie von Below - respektive die von Böhlaus als sächsische Seitenlinie der Belows.

Das Schloß wurde geplündert und verkam zur Ruine

Deren Nachkommen mußten dann im Herbst 1945 die Enteignung und Vertreibung des durch Kriegseinwirkung nur leicht beschädigten Anwesens erleben. Zur gleichen Zeit, so schildert Dorothea von Below in ihrem gerade erschienenen Buch "Rezepte aus der Schloßküche - Geschichten und Gerichte vom Schloß Döben bei Grimma", erlosch die Familie derer von Böhlau auf Döben im Mannesstamm. Den Erbanspruch auf den Besitz erhielt Elle von Böhlau, die das Rittergut weiter an ihren Neffen Carl Otto von Hoenning O'Caroll vererbte. "Aber was war da zu erben?" fragt Frau von Below.

Das intakte Schloß wurde geplündert, diente Flüchtlingen als Wohnung und wurde kurzzeitig durch Neubauern genutzt. Es verkam dann zum Baustofflager und verfiel durch die real-sozialistisch "bewußte Nichtnutzung" zur Ruine. Doch auch die Ruinen oberhalb des landschaftlich sehr reizvollen Muldenknies waren den Machthabern in ihrem Kampf um die Austilgung des verhaßten "Junkertums" ein Dorn im Auge. Einen letzter Akt der Zerstörung des Schlosses bildeten dann die Sprengungen des Übriggebliebenen Anfang der siebziger Jahre. Von der letzten Sprengung im Jahr 1972 existiert gar ein Filmdokument, das den Sprengmeister in triumphierender Pose über den Trümmern ablichtet.

Die letzten Erinnerungen an die uralte Burg waren nunmehr getilgt. Gras überwuchs Schutt und Trümmer. Es wurden Schweineställe gebaut, und der noch erhaltene barocke Pavillon diente dem örtlichen LPG-Vorsitzenden als Laube mit Kleingarten.

"Die eigene Fahne weht nur im Gegenwind" ist das Motto des Augenarztes Hubertus von Below. Und einigen Gegenwind bekam das Ehepaar nach dem Entschluß, das Böhlausche Erbe anzutreten, dann auch von mehreren Seiten zu spüren. Zuerst durch die Treuhand, die das enteignete Grundstück zum Schloß verwaltete. Als Vater Karl-Friedrich von Below - mit Erlaubnis des Erben Carl-Otto von Hoenning O'Caroll - der Treuhand sein Kaufinteresse unterbreitete, verlangte sie für die 2,5 Hektar gesprengten Schlosses 660.000 D-Mark.

Der Interessent verlor sein Interesse, allein schon aufgrund der hohen Auflagen: Der Käufer mußte sechs Millionen Mark investieren und fünf Arbeitsplätze schaffen. Pro ausgebliebenem Arbeitsplatz war eine Vertragsstrafe von 25.000 Mark zu entrichten. Drei Monate später wurde der Preis auf 330.000 Mark gesenkt. Die Investitionsverpflichtungen und Vertragsstrafen blieben vorerst bestehen. Die Familie von Below konnte das Böhlausche Erbe antreten.

Was bewog sie, deren Familien nach 1945 östlich der Elbe ihren gesamten Grundbesitz verloren hatten, zu diesem Schritt? Dorothea von Below gibt die Antwort: "Obwohl der Verlust der Heimat und die Demütigungen nun mehr als 40 Jahre, mehr als eine Generation zurücklagen, bewegte große Unruhe unsere Familien, die unter schwierigsten Umständen seinerzeit begonnen hatten, sich neue Existenzen aufzubauen ... Entbehrungen, häufiges Umziehen, ruheloses Suchen nach Heimat und einer neuen, einer eigenen Identität kennzeichnen diese 40 Jahre. Vielleicht ist es das, was uns nach Döben spülte: das glückliche Ende einer Flucht."

Voller Elan, Herz und Begeisterung

Dieses glückliche Ende einer Flucht, den Aufbau einer neuen Heimat füllen die Belows mit einem Engagement voller Elan, Herz und Begeisterung. Dabei ist das Leben auf einer Baustelle kein Zuckerschlecken und vor allem auch eine finanzielle Last.

Doch mit "viel Segen und Beharrlichkeit", so Frau von Below, mit der finanziellen Förderung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und des Amtes für ländliche Neuordnung, viel Eigenkapital sowie der Hilfe eines begabten Architekten, engagierter Schüler aus der Umgebung und des Freundeskreises Dorf und Schloß Döben e. V., die die Schloßruine von all dem Sprengschutt befreiten, wurde schon vieles auf den Weg gebracht.

Dabei waren die "Mißverständnisse" zwischen denen, die "hier im Osten gelebt hatten, und uns Zugereisten" streckenweise nicht unerheblich. Doch den von Belows stehen alle Dünkel fern. Ihnen geht es um den Aufbau verlorener dörflicher Strukturen und das Engagement in einer "wiederaufzubauenden aktiven Bürgergesellschaft".

Von diesem Geist beflügelt, gründeten die Eltern von vier Kindern zusammen mit anderen christlichen Eltern eine freie evangelische Grundschule. Aufgrund des starken Geburtenrückgangs in Sachsen wurde die örtliche Grundschule 1999 nach 450 Jahren geschlossen. Es drohte ein weiterer Rückgang des dörflichen Lebens.

Doch die Neugründung in den alten Schulräumen wurde zum Erfolgsmodell - über 100 Schüler nahmen das Angebot wahr -, und so steht nun der Aufbau einer Mittelschule auf dem Plan. Ähnlich verhielt es sich mit dem Grimmaer Ruderverein. Dieser fiel in den fünfziger Jahren den sozialistischen Sportansprüchen zum Opfer. Wider das Vergessen gründete Hubertus von Below mit Freunden den traditionsreichen Club im Jahre 1995 neu.

Derweil gingen die Aufräum- und Aufbauarbeiten auf dem Schloßgelände Stück für Stück weiter. Ebenso wuchs die Akzeptanz von seiten des Dorfes mit seinen knapp 1.200 Einwohnern. Im März 2000 bezog Familie von Below das restaurierte Haus in den acht Meter hohen Bruchsteinmauern der ehemaligen Malztenne. Im Jahr 2003 feierte dann die Freiwillige Feuerwehr Döben ihren 70. Gründungstag auf dem Schloßgelände. "Unser Ritterschlag", nennt dies Frau von Below: "Für uns bedeutete dies nach zehn Jahren unseres Hierseins die wirkliche Aufnahme im Dorf."

Der dörfliche Gegenwind hat sich gelegt und verwandelt sich spätestens nach dem verheerenden Brandanschlag auf das beinah fertig wiederauferstandene Brauereigebäude im April 2004 in große Anteilnahme und Solidarität. Der verlorene Ort ist längst nicht mehr verloren.

So resümiert Frau von Below in ihrem Buch zum Schloß Döben voller Zuversicht: "Mit seinen alten Bäumen, seinen Ruinen, den daraus schon wiederbelebten Gebäuden und dem wunderbar weiten Blick in die Landschaft hat dieser wiederentdeckte Ort eine anregende, starke Wirkung. Die ganze mehrtausendjährige Geschichte ist hier präsent, denn die Phantasie hat viel Raum, um die Steine zu den Geschichten der Geschichte zusammenzusetzen."

Der Freundeskreis Dorf und Schloß Döben im Internet: www.doeben.de

Foto: Dorothea und Hubertus von Below, Wohnhaus, Modell des unzerstörten Schlosses: Der anfängliche Gegenwind hat sich gelegt


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