© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/06 28. April 2006

Wirbel um die rechte Stimme aus Thorn
Polen: Dem nationalkatholischen Radio Maryja steht nach Kritik an Papst Benedikt XVI. Ärger aus dem Vatikan ins Haus / Vorwürfe gegen Juden und Deutsche
Andrzej Madela

Noch vor kurzem sah die heile Welt des Radio Maryja, das immer noch gern mit Bildern von Papst Johannes Paul II. wirbt, so ungetrübt aus. Der rechtsnational-katholische Sender aus Thorn an der Weichsel (Torun) erlebte 2005 einen Höhepunkt seiner Anerkennung: Lech Kaczynski und seine sozialkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hatten zwar nicht die Meinungsumfragen, wohl aber die polnischen Präsidentschafts- (JF 52/05) und Parlamentswahlen (JF 40/05) gewonnen. Bereits im Vorfeld des Urnengangs machten Kommentatoren des Paters Tadeusz Rydzyk geschlossen Front gegen den wirtschaftsliberalen Spitzenkandidaten Donald Tusk und den Zuhörern unmißverständlich klar, welche Kandidaten und Listen ausschließlich in Frage kämen - aus der Sicht der "katholischen Stimme in deinem Haus" (JF 9/02).

"Fremde Mächte" fordern 60 Milliarden Dollar von Polen

Wer um den Stand der Stimmauszählung, etwaige Personalien in der Staatskanzlei oder gar Aussichten auf Ministerposten wissen wollte, hatte bei den öffentlich-rechtlichen Sendern nichts zu suchen. Das 1991 gegründete Radio Maryja regierte nun die Stunde, der künftige Präsident Kaczynski und seine Suite straften die Konkurrenz mit Nichtachtung, und der designierte PiS-Premier Kazimierz Marcinkiewicz hatte Teile seiner Regierungserklärung bereits im Sender verlesen, ehe er noch im Parlament gewählt war.

Nun steht aber dem erfolgsverwöhnten Pater Ärger ins Haus, der aus dem Vatikan selbst kommt. Der politisierte Sender hat in einem Kommentar Ende März unterstellt, der Jüdische Weltkongreß (WJC, im Wortlaut: "das Hauptunternehmen der Holocaust-Industrie") versuche, von der polnischen Regierung 60 Milliarden Dollar als Entschädigung für verstaatlichte Synagogen, jüdische Friedhöfe, Krankenhäuser und Schulen zu "erpressen", behauptete Stanislaw Michalkiewicz. Der WJC bediene sich dabei fremder Mächte, die der polnischen Regierung die Daumenschrauben ansetzten.

Welche Mächte das sind, sagte ein anderer Kommentator Anfang April: "Niemand auf der Welt fürchtet sich so, Antisemit genannt zu werden, wie die Deutschen", erklärte Boguslaw Wolniewicz. "Das Dritte Reich hat den Deutschen das moralische Rückgrat genommen, und das ist ihnen bis heute nicht gewachsen", meinte der emeritierte Warschauer Philosophieprofessor. "Es wächst in mir der schreckliche Verdacht", sagte Wolniewicz den Radio-Maryja-Hörern, "daß diejenigen, die diese neuerliche Attacke auf euch organisieren, die Tatsache auszunutzen versuchen, daß der Papst ein Deutscher ist und es ihm unglaublich schwerfallen muß, jemanden offen zu verteidigen, der durch die Medien und möglicherweise die engsten Vertrauten des Papstes als antisemitisch verschrien ist".

Sprich: Der deutsche Papst lasse sich als Werkzeug jüdischer Interessen mißbrauchen und sei daher bemüht, ausgerechnet Radio Maryja, einen Wahrer polnischer Interessen, über nützliche Idioten in der polnischen Bischofskonferenz mundtot zu machen.

Die Wellen in Warschau und Vatikan schlugen in diesen Tagen hoch, aber sie schaukelten sich noch höher, als die liberale Gazeta Wyborcza (für Radio Maryja ein Beispiel für "Dressur in jüdischer Weltsicht") fast zeitgleich genüßlich enthüllte, daß aus dem Ordensbruder Rydzyk in Wirklichkeit ein knallharter Geschäftsmann geworden ist. 1997 rief er unter großer Anteilnahme seiner Anhänger zu einer Spende zur Rettung der Danziger Werft auf. Der Aufruf erhielt viel Zuspruch, bald lagen - laut Schätzungen - 60 bis 100 Millionen Zloty (15 bis 25 Millionen Euro) auf dem Konto. Die Werftarbeiter bekamen allerdings von dieser Spende keinen Groschen zu sehen: Sie wurde von Radio Maryjas Finanzchef Jan Król in die Aktien eines Stettiner Bauunternehmens investiert, das kurze Zeit später Insolvenz anmeldete.

Gegen den Kapitalismus und seine unsittlichen Auswüchse

Die gewaltige Summe wurde an der Börse verspekuliert, die intendierten Empfänger sahen sich nach drei Jahren unfruchtbaren Briefwechsels mit Pater Rydzyk gezwungen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Diskussion über windige Börsenspekulationen eines Ordensbruders, dessen Sender dem jetzigen Regierungslager (neben der PiS vor allem die noch "rechtere" Liga Polnischer Familien/LPR) so nahesteht, war selbstverständlich Wasser auf die Mühlen der Opposition und ein herber Schlag für die Regierenden, die sich angesichts der Tatsachen weder mit den geprellten Danzigern noch mit dem Vatikan anlegen mochten. Für die polnischen Bischöfe schlug so die Stunde der Tat, so ungern sie zu dieser auch schreiten.

Daß diese bis dato so gut wie nichts gegen den immer unversöhnlicher auftretenden Pater ausrichten konnten, hatte viele Gründe. Zum einen lag es daran, daß der mittlerweile 60jährige Rydzyk als Redemptoristenbruder (CSsR) nicht in die Zuständigkeit eines polnischen Bischofs fiel. Zum anderen daran, daß einem Teil der polnischen Bischöfe die Generallinie des Senders - Frontstellung gegen den libertinären Kapitalismus samt seinen unsittlichen Auswüchsen - durchaus entgegenkam und so etwaige Mißtöne schnell als einmalige Ausrutscher verharmlost werden konnten.

Zum dritten wohl daran, daß Rydzyk der bei weitem bekannteste Priester in Polen ist, dem - was Einfluß, Stellung und Geltung beim Kirchenvolk angeht - kein Bischof auch nur das Wasser reichen kann. Ein direkter Konflikt mit ihm hätte unabsehbare Folgen für den Kirchenfrieden und den Kirchenfürsten selbst. Mit einer Zuhörerschaft von knapp vier Millionen im Rücken war es Pater Rydzyk ein leichtes, seine eigene Person als ausschließliches Vorstands-, Aufsichts- und Kontrollgremium im Sender durchzusetzen. Da sein Orden als Lizenzträger dem Vatikan direkt unterstellt ist, blieb der Einfluß der polnischen Bischofskonferenz auf den Sendeinhalt stets gering.

Das soll sich nun nach dem Willen des Vatikans ändern. Papst Benedikt XVI., dessen Besuch in Polen Ende Mai ansteht, wünscht nicht von einem Sender vereinnahmt zu werden, der aus seiner Sicht Spaltung statt Versöhnung sät und so seiner ursprünglichen Mission eines Evangeliumsverkünders untreu geworden ist. Eine "Kommission der Sorge um Radio Maryja", bis jetzt fest in Redemptoristenhand, soll paritätisch von diesen und den polnischen Bischöfen besetzt und letzteren ein unmittelbarer Einfluß auf den Sendeinhalt garantiert werden. Stillschweigend vorausgesetzt wird in dem ungewöhnlich scharfen päpstlichen Schreiben an die polnischen Bischöfe, daß künftig nicht Pater Rydzyk über die Ausrichtung des Radio Maryja entscheide.

Gerade an dieser aber entzündete sich immer wieder die Kritik von Opposition und Medien, ist doch der Sender um einfache, griffige Feindbilder nie verlegen. Er knüpft in seiner gekonnten Mischung aus stark verflachter Volksreligiosität und unbarmherziger Kapitalismuskritik an Vorstellungen an, die gerade für das untere Drittel der Gesellschaft ungeheuer attraktiv bleiben: Erhaltung wohlfahrtsstaatlicher Einrichtungen, sozialer Ausgleich bei der Privatisierung, Wahrung nationaler Interessen beim Verkauf von Grund und Boden an Ausländer.

Keine Gnade findet beim Sender der "Liberalismus" in sittlicher und ethischer Hinsicht - auch Lech Kaczynski bekannte im JF-Interview (34/05) offen: "Wir sind gegen die, wie ich sie nenne, liberale Utopie." Abtreibung und Homosexualität sind selbstverständlich "Sünden wider Gott", Andersgläubige und Fremde (im Volksverständnis: vor allem Juden und Deutsche) werden im Radio Maryja mit nur mühsam verdeckter Beherrschung toleriert.

Großer Erfolg bei Verlierern der Umbrüche nach 1989

Doch gerade die hochexplosive Mischung aus politisiertem Katholizismus und antiliberalem Nationalismus sorgt für einen beispiellosen Erfolg bei den Verlierern der gewaltigen Verwerfungen und Umbrüche nach 1989. Der Sender hat wenig junge Zuhörer; hingegen kennt er unter Bauern, Kleinpensionären, Sozialhilfeempfängern oder Hausfrauen kaum Konkurrenz.

Es ist nicht seine Kapitalismuskritik allein, die ihm den Zulauf beschert (das können andere auch, viele gar tiefgründiger und geistreicher), sondern die Verbindung von Kritik und Wertebewußtsein, das bei den anderen längst unter die Räder liberaler Mühlen geraten oder nur noch als sattsam bekannter Beliebigkeitsbrei vorzufinden ist. Mag das Wertebewußtsein von "Radio Maryja" manchen gestrig erscheinen - es garantiert seinen Anhängern einen sofortigen Wiedererkennungseffekt im mittlerweile hoffnungslos überfüllten Äther.

Immer wieder riefen diesbezügliche Sendungen die liberale Opposition auf den Plan, allerdings vor allem die intellektuelle, die sich über liberale Blätter wie Gazeta Wyborcza, Wprost oder Polityka vernehmen läßt. Daß die politische Opposition beim Vorgehen gegen den Sender so blaß wirkt, hat vielfach mit der Rücksicht auf jene potentiellen vier Millionen Wähler zu tun, die einem liberalen Politiker wohl nicht immer salonfähig erscheinen, die man aber braucht, um Wahlschlachten zu gewinnen. So überläßt die postkommunistisch-wirtschaftsliberale Opposition die undankbare Aufgabe der Demontage eines gefallenen Volkskirchenidols gern der ihr gleichgesinnten Presse.

Radio Maryja ist in Grenznähe über UKW zu empfangen. Es sendet auch im Internet unter www.radiomaryja.pl

Foto: Pater Rydzyk

Foto: Johannes Paul II. in Tschenstochau: Katholische Volksreligiosität


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