© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/06 28. April 2006

RambaZamba: "Ein Herz ist kein Fußball" - und unterwegs in ganz Deutschland
Zauber ganz ohne Ball
Christoph Martinkat

Allen zum Trost: Auch nach dem überraschenden Vorrunden-Aus der deutschen Fußballer bei der WM wird das Leben weitergehen. Nicht nur das, es bleibt sogar lebenswert. Wer daran tiefe Zweifel hegt oder sich gar - ob des heraufziehenden WM-Desasters - jetzt schon in Depressionen wälzt, dem sei hier Abhilfe empfohlen. Was er dafür tun muß? Nichts weiter, als ins Theater zu gehen, um das Stück "Ein Herz ist kein Fußball" zu sehen. Die Gelegenheit dazu ist günstig, schließlich tourt die Berliner Theatergruppe RambaZamba mit dieser Produktion gerade quer durchs gesamte Bundesgebiet.

RambaZamba ist kein gewöhnliches Theater, sondern dort stehen geistig behinderte Jugendliche und Erwachsene auf der Bühne. RambaZamba lebt von der Improvisation und der Unmittelbarkeit seiner Akteure. Gefühle wie Trauer oder Freude werden hier nicht gespielt, sondern gelebt. Während der Aufführung geschieht immer etwas Unerwartetes: ein nicht geplanter Auf- oder Abgang, eine spontane Gefühlsäußerung, mal wilde Geste, mal stummer Schrei, ein Text, der anders als erwartet zu Ende geht. Oft bekommt das Stück dadurch eine zusätzliche Wendung, die zuweilen an Eindringlichkeit und poetischer Kraft ihresgleichen sucht.

Spektakel jenseits der Norm, Theater ohne Sinnkrise

RambaZamba spielt Theater ohne Kalkül. Die Stücke sind Spektakel jenseits der Normalität, sie greifen nach den Herzen. Der ungewöhnlichen Wirkung dieses Spiels konnten und können sich selbst eingefleischte Theaterleute wie der verstorbene Dramatiker Heiner Müller, Schauspieler wie Otto Sander; Meret Becker und Eva Matthes oder Regisseure wie Frank Castorf nicht entziehen. Während Müller stets das archaische Moment des RambaZamba-Spiels bewunderte, das im "Zeitalter der Nivellierungen" kaum noch zu besichtigen sei, betont Castorf etwa an dem ungewöhnlichen Projekt, daß es gänzlich ohne Sinnkrise auskomme und selbst Tragisches in frohe Botschaften verwandele. Freilich ist der Prozeß der Verwandlung damit noch nicht hinlänglich beschrieben, und offenbar sind Wirkung und Strahlkraft des "verrückten Theaters" mittels verbaler Analyse auch nicht gänzlich zu erklären. Soviel jedoch ist sicher: Gespielt wird bei RambaZamba immer zu hundert Prozent, mit totaler Hingabe, Leidenschaft und Herz. Wozu bedarf es da noch des Balles?

Die Handlung von "Ein Herz ist kein Fußball" ist denkbar einfach: Zwei Mannschaften rüsten sich zur entscheidenden Fußballschlacht. Die Fans sind in froher Erwartung, die Mannschaften haben sich warmgelaufen. Sie nehmen Aufstellung, der Schiedsrichter pfeift das Spiel an, doch plötzlich fehlt der Ball. Dort, wo dem realen Fußball bereits die Puste ausgeht, in Ermangelung des Spielgeräts, beginnt es im Theater erst richtig spannend zu werden. Denn was macht man nun? In diesem Stück nun wird zwischen den Teams "Fußball" und "Herz" buchstäblich alles verhandelt: Martialische Fußballvokabeln wie "Blutgrät-sche", "Notbremse" oder "Bomber" werden ebenso in Tanz, Musik, Mimik und szenisches Spiel übersetzt wie beschönigende, etwa der Begriff "Schwalbe".

Kein Drama, sondern ein Spiel mit dem Namen "Leben"

Dieser wird von einer Spielerin des Teams "Fußball", die sich Hals über Kopf in einen Spieler der gegnerischen Mannschaft verliebt und damit den dem Wettkampf innewohnenden Dualismus gefährdet, benannt als "Tag gegen die Nacht" oder "Süß gegen Sauer". In dieser Neudefinition erscheint eine Schwalbe als der Moment, in dem man sich vor dem richtigen Mann zur rechten Zeit fallenläßt. Und schon sinkt sie dahin, wie die wohlsituierten Damen im Zeitalter der Empfindsamkeit.

Derweil konkurrieren die beiden Teams - Blechblasinstrumente gegen Streicher - miteinander um die schönste Melodie. Heraus kommt ein geordnetes Chaos verschiedenster Töne, das mal nach dem Einspielen eines Orchesters und mal nach feinsinnigem Free-Jazz klingt. Schieds- und Linienrichter entpuppen sich als rechthaberische Gegenspieler, und jemand erklärt nuschelnd den archaischen Zusammenhang zwischen Vollmond und Abwesenheit des runden Leders, während der Ball auf einer Leinwand hinter der Bühne als goldene Kugel erscheint - wie in Grimms Märchen vom Froschkönig, nur hier inmitten des Weltalls. Für RambaZamba ist dies beileibe kein Drama, sondern lediglich ein Spiel, das den Namen Leben trägt. Angesichts dessen müßte selbst der leidgeprüfte Fußballfan verstehen: Wahrer Fußball funktioniert nur mit Herz, doch das Herz ist weit mehr als nur Fußball.

Termine im Internet: www.sonnenuhr-berlin.de/Ensemble_H/einherzkeinfbtermin.php

Foto: Am Rande des Spielfelds, aber im Zentrum der Bühne: Trommeln für das Herz - gegen den Fußball?


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