© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/06 28. April 2006

Pankraz,
das Buch Lun-Yü und die Goethe-Institute

Die einen gehen, die anderen kommen. Während demnächst sämtliche europäischen Goethe-Institute der Bundesrepublik Deutschland ("wegen Geldmangels") geschlossen werden, ziehen die neu gegründeten "Konfuzius-Institute" der Volksrepublik China in Deutschland ein. Soeben wurde das erste in Berlin eröffnet, kommenden Mai folgt das nächste in Nürnberg.

Für China ist die Installation der Institute ein kulturelles Ereignis ersten Ranges. Jahrzehntelang galt der Konfuzianismus in der Volksrepublik als Todsünde, wurde unter Mao systematisch verfolgt. Konfuzius-Lehrern wurden hohe, spitze Ketzerhüte aufgesetzt, sie wurden totgeschlagen oder "zum Scheißehäufeln" auf die Felder der Kolchosen gezwungen. Inzwischen ist man davon abgekommen, es gab eine stille, verlegene Rehabilitierung des Konfuzianismus, aber offen zu Konfuzius bekannt hatte sich der Staat bisher nicht. Die Gründung der Institute markiert einen großen und definitiven Umschwung.

Über Tausende von Jahren hinweg fungierte Konfuzius (551-479 v. Chr,) als der Inbegriff des geistigen China: Nationalheiliger, Großreformator, Begründer der Moral und des Rechts und der Wissenschaft, alles in einem. Er ist - nach dem weltgeschichtlichen Schema von Karl Jaspers - der Superstar jener "Achsenzeit" um 500 v. Chr., als faktisch gleichzeitig Sokrates, Buddha und eben Konfuzius auftauchten und die Menschen zur geistigen Selbstbestimmung führten, sie aus dem simplen Naturverband allen Lebens endgültig herauslösten und auf vorsichtige, reflektierende Distanz zu den Göttern gehen ließen.

Fung Yu-Lan, der bedeutende Geisteshistoriker unserer Tage und Verfasser einer prächtigen Geschichte der chinesischen Philosophie, bezeichnet Konfuzius als den einflußreichsten Denker, der je gelebt habe, einflußreicher als die Religionsgründer Moses, Buddha, Jesus Christus und Mohammed. Sein Erdenwandel scheint dem des Sokrates ähnlich gewesen zu sein: Er sammelte wißbegierige Jünglinge um sich, die er erzog, d.h. mit seinen Lehren tränkte, welche weniger auf abstrakte Welterkenntnis denn auf Erlangung von sogenanntem Anstand hinausliefen, auf ein Anständig-über-die-Runden-Kommen im Leben.

Während Sokrates den Giftbecher trinken mußte, mußte Konfuzius lediglich emigrieren, und er hatte sogar die Genugtuung, nach langen Exiljahren in seinen Heimatstaat Schantung zurückgerufen und in Ehren empfangen zu werden. Viel von seinen Lebensumständen liegt im Dunkeln, auch die fünf kanonischen Bücher, die von ihm überliefert sind, die berühmten King, werden ihm lediglich zugeschrieben. Es sind Schüleraufzeichnungen, Apostelgeschichten.

Konfuzius hat keinen Wert darauf gelegt, höchstselbst, also als ein abhebbares und heraushebbares Ich, irgend etwas aufgeschrieben zu haben. Er begriff sich als Moment und Mittler einer überindividuellen geistigen Überlieferung wie im Grunde alle Propheten vor und nach ihm. Die fünf King sind ausdrücklich als Verlautbarung sagenhafter, göttergleicher Herrscher aus einer fünftausendjährigen Vergangenheit deklariert.

Im Gegensatz zu den Botschaften von Jesus oder Mohammed klingen die King aber - und das ist nun vielleicht das "typisch Chinesische" an ihnen - extrem antimetaphysisch, d.h. Konfuzius lehnt es schlichtweg ab, sich auch nur einen Augenblick lang ausschließlich der reinen Betrachtung, der vita contemplativa, zu widmen, um "Gott zu erkennen" oder "den Tod zu überwinden" usw. Das Buch Lun-Yü erzählt, wie ihn seine Schüler immer wieder bedrängt hätten, ihnen doch etwas über die Götter und über den Tod zu sagen, und darauf antwortet er:

"Wenn wir noch nicht einmal genau wissen, wie wir uns unter Menschen verhalten sollen, wie können wir dann wissen, wie wir uns den Göttern zu nähern haben? Und wenn wir nichts über das Le­ben wissen, wie können wir dann etwas über den Tod wissen? Laßt uns den Menschen dienen, und dann dienen wir auch den Göttern; laßt uns das Leben erkennen, und dann erken­nen wir auch den Tod."

Also, das "den Menschen Dienen" war das große Geschäft des Konfu-zius, wobei er keinen Unterschied zwischen dem einzelnen Menschen und der ganzen Menschheit machte beziehungsweise zwischen Ethik und Poli­tik oder Staatslehre. Anweisungen, die für den einzelnen gelten, gelten in gleichem Maße auch für das Ganze, zumin­dest für jene zwei Sozialebenen, die Konfuzius für konstituierend hält: die Familie einerseits, den Staat anderer­seits.

Jede Art von Herrschaft ist angehalten, das Leben, so wie es wirklich ist, zu erkennen und den Menschen, so wie sie wirklich sind, zu dienen. Ein König soll Konfuzius einst gefragt haben, ob diejenigen, die in seinem Staat die Ge­setze überträten, mit dem Tode bestraft werden sollten. Und Konfuzius antwortete: "Majestät, was bedarf es des Tö­tens, wenn Ihro Gnaden das Regiment ausüben? Wenn Eure Hoheit das Gute installiert, so wird das Gute geschehen. Das Wesen der Herrscher ist wie der Wind, das Wesen der Beherrschten wie das Gras. Das Gras beugt sich von ganz allein, wenn der Wind darüber fährt."

Das hieß also: "Wenn du das Leben und die Menschen kennst und folglich gut regierst, brauchst du keine Ge­setzesbre-cher zu fürchten, mußt du keine Grashalme brechen, denn sie werden sich unter dein Gesetz beugen wie das Gras unter dem Wind." Das ist zweifellos eine schöne, wenn vielleicht auch etwas biedere Aussage. Man sollte sich davor hüten, die Sprache der Politik in Lebkuchensprüche zu verwandeln.

Unstreitig aber gilt: Besser, im Konfuzius-Institut die Sprüche des Konfuzius zu vernehmen, als im ehemaligen Goethe-Institut die Sprüche von Habermas oder Paul Nolte vernommen zu haben.


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