© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/06 05. Mai 2006

Generationenkonflikt unter falschen Vorzeichen
Widerstand und Vernichtungskrieg: Johannes Hürter präsentiert im Nachweise über Henning von Tresckows Verstrickungen alte Hüte als neues Geschichtsbild
Oliver Busch

Mit der Antwort der jungen Militärhistoriker Johannes Hürter und Felix Römer auf die Kritik ihres pensionierten Kollegen Hermann Graml (JF 08/06) gerät die mittlerweile zum "Generationenkonflikt" stilisierte Diskussion über "Widerstand und Ostkrieg" an den Rand einer Farce (Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte/VjZ, 2/06).

Graml, fast fünfzig Jahre am Münchener Institut für Zeitgeschichte tätig, hatte in eine schon recht lebhafte Debatte eingegriffen, als er Hürter und Römer im Januarheft der VjZ vorwarf, sich gegenüber den Exponenten der Militäropposition um Henning von Tresckow zu Moralrichtern aufgeschwungen und sie zu Unrecht wegen ihrer frühen, für die Anfangswochen des Rußlandfeldzuges dokumentierten Mitwisserschaft an der blutigen Praxis der SD-Einsatzgruppen diffamiert zu haben.

Gramls dagegen unternommene Entlastungsoffensive war nicht sonderlich gut fundiert. Schon der Umstand, daß er immer noch versuchte, Zeitzeugen wie Tresckows Adlatus Rudolph-Christoph von Gersdorff und den "Mitverschwörer" Fabian von Schlabrendorff gegen glasklare Aktenbelege auszuspielen, stempelte Gramls Vorstoß als platte Apologie ab. Die Angegriffenen haben mithin wenig Mühe, dies als eine aus der Nachkriegsära nur zu bekannte geschichtspolitisch-volks-pädagogisch motivierte "Arbeit am Mythos Widerstand" abzutun. Diese Zeit ist jedoch Vergangenheit, und endgültig hinter uns liegt, wie Römer und Hürter zu Recht betonen, die Fiktion "ungebrochener Lichtgestalten", die aus edelsten Motiven den "Aufstand des Gewissens" riskierten. Eine kaum noch überschaubare Fülle von Biographien, Tagebuch- und Briefeditionen hat inzwischen ein "reflektiertes Widerstandsbild" entstehen lassen, das alle Beteiligten realistisch als Menschen "in ihrem Widerspruch" zeigt.

Der ausbleibende Blitzkrieg weckte moralische Bedenken

Hätte Graml diesen von der Forschung induzierten Bewußtseinswandel in der Rezeption der Widerstandsgeschichte aufmerksamer registriert, wäre ihm kaum eingefallen zu postulieren, die Biographie eines Tresckow sei moralisch "ohne Dissonanz", und folglich sei es infam, ihm zu unterstellen, die "Säuberungsaktionen" des SD zeitweilig gebilligt zu haben.

Genauso dürfte es sich aber zugetragen haben. Die späteren "Männer des 20. Juli" wußten vom ersten "Barbarossa"-Tag an von Erschießungsaktionen des SD, und sie reagierten mit Gleichgültigkeit, wenn nicht sogar, da es gegen "Bolschewisten und Juden" ging, mit einem Gran Zustimmung. Erst im Oktober 1941, als der SD auch Frauen und Kinder in seine Massenliquidierungen einbezog, regte sich moralische Empörung. Aber selbst diese innere Stimme wäre vielleicht überhört worden, wenn nicht inzwischen das "Blitzkriegs"-Konzept gescheitert wäre.

Denn, so lautet schließlich die These von Hürter und Römer, solange die deutsche Militärelite in völliger Übereinstimmung mit den Zielen der politischen Führung des Reiches hoffte, Stalins bolschewistisches "Reich des Bösen" in einem kurzen Vernichtungskrieg niederwerfen zu können, schienen ihr moralische Bedenken gegen die dabei anzuwendenden "Methoden" fehl am Platze. Erst das Adolf Hitler angelastete Ausbleiben des "Blitzsieges" in Rußland sowie die niederschmetternde Aussicht auf einen langen Zweifrontenkrieg habe die Weichen in Richtung Opposition gestellt, und erst dann, parallel zur "militärischen Krise" des Herbstes 1941, habe man die Untaten des SD als "moralische Krise" erlebt.

Daß Hürter und Römer sich mit diesem von ihnen aus den Akten rekonstruierten Sachverhalt zu Anwälten der "kritischen Wissenschaft" aufschwingen, zeugt allerdings - und dies macht ihre Replik zur Farce - von ebensolcher ahistorischer Weltfremdheit wie Gramls verunglückte Idolisierung. Denn natürlich war es bei Tresckow und Gersdorff wie bei den "alten Kämpfern" Schulenburg oder Helldorf: Es gab bei den meisten Protagonisten der Militäropposition und des nationalkonservativen Widerstands mindestens eine temporäre Teilidentität der politischen Ziele und der weltanschaulichen Überzeugungen - andernfalls hätte sich die NS-Regierung nicht einmal die ersten einhundert Tage im Amt halten können.

Hürter und Römer können also nicht im Ernst behaupten, mit der Entdeckung von Tresckows früher "Mitwisserschaft" ein "neues Geschichtsbild" zum 20. Juli kreiert zu haben. Ihre eigentliche Intention ist denn auch offensichtlich eine andere: Tresckow ist der prominente Haken, um daran ihr Bild von der Wehrmacht im Vernichtungskrieg aufzuhängen und so exakt jene "politische Funktionalisierung der Wissenschaft" zu betreiben, die sie Graml als Apologetik zur Last legen. Was Hürter wirklich umtreibt, dürfte seine Mammutstudie über "Hitlers Heerführer" offenbaren, deren Erscheinen für dieses Frühjahr angekündigt ist.

Ritterlichkeit gegenüber verbrecherischem Feind verfehlt

In der Polemik gegen Graml verrät er immerhin soviel: Die von ihm dekretierte "Einzigartigkeit des rassenideologischen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion" kann nur deshalb festgeschrieben werden, weil bei ihm der Wehrmacht der Gegner abhanden kommt. Nur einmal liest man in den Ausführungen von Hürter und Römer, daß der Rußlandkrieg "auf beiden Seiten mit größter Brutalität" geführt worden sei. Daß Stalins Armee und besonders ihre "Kommissare" - was die angeblich "verbrecherischen Befehle" für das deutsche Ostheer treffend antizipierten - sich vom ersten Feldzugstag an völkerrechtswidrig verhielten, also mit Massakern an deutschen Gefangenen ihr eigenes späteres Schicksal selbst herbeiführten, erwähnen die Junghistoriker nicht. Dabei lassen die sonst von ihnen so gern zitierten Akten des Freiburger Militärarchivs, wie zahllose nach 1945 publizierte Feldzugserinnerungen, am Verhältnis von Ursache und Wirkung keinerlei Zweifel.

Auch über die "völkerrechtswidrige Kriegführung" der Wehrmacht ist munter zu parlieren, solange Moskaus Völkerrechtsverständnis nicht zum Thema gemacht wird. Und über eine "radikale Repressionspolitik" kann wohl nur lamentieren, wer verdrängt, daß sie einem Feind galt, der nur kurz zuvor in Ostpolen und im Baltikum gezeigt hatte, wie wenig "Pardon" er bei seinen Exterminationen des "Klassenfeindes" zu geben bereit war. "Ritterliche Kriegführung" war so einem Gegner gegenüber gewiß fehl am Platz.

Wer allerdings wie Hürter und Römer diesen historischen Kontext und damit auch die politische Ebene des Krieges verläßt, der stets Interaktion ist, findet sich unvermutet in der Nähe des belächelten Volkspädagogen Graml wieder.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen