© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/06 19. Mai 2006

Russische Bauern haben es bald besser
Landwirtschaft: Rußland strebt Autarkie bei der Ernährung an / EU setzt auf Marktöffnung - mit negativen Folgen für Landwirte
Harald Ströhlein

Rußland rüstet auf! Doch was die Duma im April als nationales Vorrangprojekt eingestuft und abgesegnet hat, betrifft nicht das Militär. Die Entwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft im eigenen Land ist das erklärte Ziel, nachdem in den letzten Jahren die Rinder- und Schweinebestände schrumpften und die Milcherzeugung absackte.

Um die Selbstversorgung der Bevölkerung in den kommenden Jahren "deutlich zu steigern", will man die Milchproduktion bis 2008 um 4,5 und die Fleischerzeugung um sieben Prozent erhöhen. Schon für dieses Jahr erwarten die russischen Planer eine Aufstockung des nationalen Schweinebestandes um neun Prozent.

Die russische Landwirtschaft beginnt zu florieren

Nach der bisherigen Vorgehensweise zu urteilen, lassen die Russen keinen Zweifel daran, ihr ehrgeiziges Ziel planmäßig zu erreichen. So bewilligte das russische Parlament allein für 2006 einen Agraretat in Höhe von umgerechnet über 1,1 Milliarden Euro, der sich gegenüber dem Vorjahr nahezu verdoppelte. Mit praktisch kostenlosen Darlehen sollen marode Betriebe modernisiert und neue Anlagen errichtet werden. Von 130.000 neuen Stallplätzen und 100.000 Zuchtrindern - die überwiegend aus Deutschland importiert werden sollen - ist die Rede. Weiterhin will man landwirtschaftliche Kleinerzeuger fördern, deren Absatzwege verbessern und jungen Agrarfachkräften das Leben auf dem Lande in attraktiven Wohnungen versüßen.

Als weitere Stütze im Aufbau der Landwirtschaft gilt die Zusammenarbeit mit ausländischen Investoren, die alleine in den vergangenen Jahren mit umgerechnet gut zehn Milliarden US-Dollar eine Entwicklung vorantrieben, die sich bis auf weiteres fortsetzt: Bereits bestehende Verträge mit Unternehmen aus dem Westen sichern Gelder in die russische Rinder-, Schweine- und Geflügelbranche sowie die Landtechnik in fast dreistelliger Millionenhöhe.

Politisches Säbelrasseln tut hier ein übriges. Wenn Landwirtschaftsminister Alexej Gordejew gegen die EU und die Welthandelsrunde wettert, dann geht es um den Abbau der aus seiner Sicht überhöhten EU-Exportsubventionen sowie die angestrebte Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation (WTO) und damit letzten Endes um seine russischen Bauern. Zudem bleibt es nicht bei politischem Geplänkel, sondern auf Worte folgen Taten: Die von Rußland bereits verhängte Importkontingentierung für Schweinefleisch aus Drittländern läßt die Herzen der russischen Schweinemäster höher schlagen - und die Fleischerzeugung und deren nachgelagerte Verarbeitung floriert in bislang ungekannten Dimensionen.

In Brüssel denkt man anders: Zur EU-Finanzierung für die Jahre 2007 bis 2013 haben die Staatschefs der Mitgliedsländer besonders den Agrarhaushalt unter Zensur gestellt.

Zwar beansprucht dieser bei geplanten Gesamtausgaben von rund 862 Milliarden Euro mit über 40 Prozent den größten Anteil, doch die fortgesetzten direkten Kürzungen und die von diesem Etat auch noch zu finanzierende Integration von Rumänien und Bulgarien in das System der "Gemeinsamen Agrarpolitik" werden einen hohen Tribut fordern.

Es gibt immer weniger Bauernhöfe in Deutschland

Dabei werden auch die deutschen Bauern weiter Federn lassen müssen, wie ein Blick in den Subventionsbericht (JF 19/06) untermauert: Entgegen moderaten Streichungen in der gewerblichen Wirtschaft sahen sich unsere Landwirte in den letzten drei Jahren mit einer durchschnittlich etwa 30prozentigen Streichung der Finanzhilfen und Steuervergünstigungen konfrontiert.

Demnach fließen nur noch fünf Prozent der gesamten vom Bund getragenen Subventionen in die heimische Nahrungsmittelproduktion, obwohl die Agrarwirtschaft mit allen vor- und nachgelagerten Bereichen bei einem jährlichen Produktionsvolumen von über 550 Milliarden Euro und über vier Millionen Erwerbstätigen durchaus noch als Standbein der deutschen Wirtschaft tituliert werden darf.

Doch die deutsche Landwirtschaft ist auf Sinkflug. 1995 wurde noch auf 485.795 Höfen gearbeitet, 2004 waren es 372.400, und der Trend setzt sich mit einer jährlich bis zu vierprozentigen Schrumpfungsrate fort. Auch der seit über zwei Jahrzehnten kontinuierlich anhaltende Schwund der Rinder-, Schweine- und Geflügelbestände scheint unaufhaltsam. Angesichts einer solchen desolaten Entwicklung muß man sich nicht wundern, daß unser durchschnittlicher Selbstversorgungsgrad an Nahrungsmitteln - einst nahe 100 - mittlerweile die 80-Prozent-Marke anpeilt.

Rußland stand vor noch nicht allzu langer Zeit unter der Fuchtel realitätsferner sowjetischer Planwirtschaftler, die den Bauern in den Kolchosen schwere Zeiten bereiteten. Seit dem Ende des Kommunismus haben sich die Zeiten grundlegend geändert, und durch das Vorrangprojekt wird möglicherweise - sollten die Maßnahmen greifen - der russische Agrarsektor eine neue Dimension in der nun sich entwickelnden Marktwirtschaft erlangen.

Währenddessen wird in den unter dem Brüsseler Diktat stehenden Ländern des Westens gekürzt, gestrichen, bevormundet und gegängelt. Wie sollte das bei einem eng gezurrten Landwirtschaftskorsett mit akribisch vorgelegten Plan- und Sollzahlen auch anders sein? Die Systeme sind geblieben, nur die Rollen sind getauscht.


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