© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/06 19. Mai 2006

Zeitschriftenkritik: Wir Frauen
Im Knast fehlt die Frauenquote
Ellen Kositza

Dies Schicksal ereilt früher oder später wohl jede politische Bewegung: daß sie sich aufspaltet in Fundamentalisten und Pragmatiker. Letztere pflegen in geschliffenerem Duktus daherzukommen, ihre Thesen sind diskutabel auf dem Markt der Meinungen und werden von den Hardlinern als Anbiederung an den Zeitgeist angesehen. Zu den arrivierten, durch und durch zitationsfähigen Produkten aus dem Bereich der Frauenbewegung darf man die Zeitschrift Emma mittlerweile getrost zählen, ihre Frontfrau Alice Schwarzer wird mit Auszeichnungen wie zuletzt dem Bundesverdienstkreuz und allgemeinem Konsens längst überhäuft, ihre Meinung darf in keiner Talkshow zu einem auch nur annähernd verwandten Thema fehlen. Emma ist Pop, irgendwie.

Das vierteljährlich erscheinende "feministische Blatt" Wir Frauen hingegen hat sich die alte emanzipatorische Verbissenheit und den Lila-Latzhosen-Charme auch im 25. Jahr seines Erscheinens erhalten. Die aktuelle Ausgabe widmet sich schwerpunktmäßig "Verbrecherinnen". Gemeint sind durchaus auch weibliche Gefängnisinsassen, wogegen die umfassendere Definition sanfter ausfällt. Hier ist die Rede von "Frauen, die sich gegen gesellschaftliche Verhältnisse auflehnen, die gegen den Strom schwimmen und in Kauf nehmen, aus dem 'normalen' Kanon zu fallen". Etwa, "weil sie abtreiben, in ein anderes Land fliehen oder drogenabhängig sind".

In Abwandlung eines Spruches von Ur-Emanze Simone de Beauvoir leben wir folglich in einem Land, in dem frau zur Verbrecherin erst gemacht wird. Da gerät selbst der Umstand, daß nur rund fünf Prozent der Inhaftierten hierzulande Frauen sind, zu einem Kritikpunkt - die Kontrolle der Frauen werde bei uns "weitgehend der Privatsphäre, Medizin oder Psychiatrie überlassen". Somit stelle sich "der Prozeß der Kriminalisierung als Vorgang zur Herstellung und Bestätigung von Geschlechtsrollen" dar.

Jenseits des Hauptthemas ist ein sachlicher Artikel unter der Überschrift "Abtreibung ist Unrecht" dem Anstieg der Spätabtreibungen gewidmet, Interviews werden mit einer Gründerin des "Linken FrauenAufbruchs" innerhalb der PDS, Linkspartei und WASG sowie einer französischen Schulpsychologin zu den Gründen der Pariser Vorstadtkrawalle geführt. Zur Besprechung kommen Bücher, die in anderen Medien kaum eine Rezensionplattform finden, etwa zur "Lebenslage älterer lesbischer Frauen in Deutschland" (mit Forderungen für eine "lesbische Seniorinnenpolitik") oder jener Ratgeber für Frauen "50 plus und endlich allein", der Perspektiven "auf ein selbstbestimmtes und glücklicheres Leben eröffnet".

Die Zeitungsmacherinnen arbeiten weitgehend ehrenamtlich, finanziell unterstützt durch Anzeigenkunden aus der Kampfzeit: Es werben das Antifaschistische Infoblatt, die Marxistischen Blätter, Junge Welt sowie das Autonome Lesbenreferat der Uni Düsseldorf.

Kontakt: Wir Frauen, herausgegeben vom Verein zur Förderung von Frauenpublizistik e.V. , Rochusstraße 43, 40479 Düsseldorf, E-Post: wirfrauen@reviera.de . Zwei Probehefte kosten 3 Euro.


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