© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/06 26. Mai 2006

PRO&CONTRA
Birthler-Behörde auflösen?
Peter-Michael Diestel / Holger Zastrow

Die Birthler-Behörde entwickelt sich zusehends zu einer Institution, die sich gesellschaftlich erübrigt hat und in bizarrer Weise an der Rehabilitierung eines kommunistischen Geheimdienstes mitwirkt. Dies ist wie folgt zu erklären: Wenn permanent dem Ministerium für Staatssicherheit Gewaltverbrechen wie Morde, Entführung usw. nachgesagt werden, jedoch die strafrechtliche Aufarbeitung in den letzten 16 Jahren diese Behauptung nicht bestätigt, dann führt das letztendlich doch wohl zu dem Schluß, daß es die behaupteten Greueltaten so nicht gegeben haben kann: denn das ist das Ergebnis der strafrechtlichen Aufarbeitung der MfS-Hinterlassenschaft in den letzten Jahren. Ein bemerkenswertes Ergebnis, das der Verwerflichkeit der kommunistischen Diktatur im höchsten Maße widerspricht. - Warum wollen wir nicht feststellen, wer Koch und wer Kellner war? Warum wollen wir bei der Aufarbeitung der DDR nicht konstatieren, daß in Wahrheit die SED samt ihren Gliederungen die Spinne im Netz war, die sich militärische Strukturen für die Unterdrückung der Menschen, so auch den militärisch strukturierten Geheimdienst, geschaffen hat? Wir lenken durch den dilettantischen Blick auf das MfS von den eigentlichen historischen Zusammenhängen ab, weil man in dieser Republik die Nachfolgestrukturen der SED wieder zum Regieren braucht.

Deshalb sollte endlich Schluß sein mit der unsinnigen Schnitzeljagd der Birthler-Behörde und mit der Vergeudung unermeßlicher Steuermittel. Das heißt nicht, daß die historische Aufarbeitung der DDR beendet sein soll, nur an der Hinterlassenschaft des MfS geht dies eben nicht. Deshalb sammelt die "Gesangbücher" der Birthler-Behörde ein und übergebt die inhaltlosen Akten, deren Inhalt rechtswidrig erhoben wurde, an das Bundesarchiv oder noch besser an die Reißwölfe, gegebenenfalls zur Herstellung von Konfetti für den nun gesamtdeutschen Karneval!

 

Dr. Peter-Michael Diestel ist Rechtsanwalt. Er war letzter Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident der DDR.

 

 

Die Akten gehören uns!" - Nichts hat sich daran geändert, seit mit diesem Ruf die Zentralen der Staatssicherheit von DDR-Bürgern gestürmt wurden. Es ist 16 Jahre nach der Wiedervereinigung viel zu früh, das Thema Stasi ins Archiv zu verbannen. Die Unterlagen des Spitzeldienstes müssen weiterhin aufgearbeitet, nicht aber nur archiviert werden. Der Rechtsstaat ist an den Stasi-Ungeheuerlichkeiten gescheitert: Selbst Chef-Spitzel Erich Mielke wurde wegen Mordes an zwei Berliner Polizisten im Jahre 1931 verurteilt - nicht aber für seine Verbrechen an einem ganzen Volk. Um so wichtiger bleibt deshalb die politische und historische Aufarbeitung des DDR-Repressionsapparates.

Die Stasi-Unterlagen-Behörde hat sich dabei einen hervorragenden Ruf erarbeitet. Auch wenn die Regelabfragen zum Jahresende entfallen, verliert die Behörde nur eine ihrer Aufgaben - aber nicht ihren Sinn. Das Interesse ehemaliger DDR-Bürger an ihren Stasi-Akten ist ungebrochen, ebenso das Interesse von Historikern und Journalisten. Niemand versteht, warum die Stasi-Unterlagen-Behörde plötzlich überflüssig sein soll.

Irgendwann wird die Stasi sicher nur noch Geschichte sein. Aber noch nicht jetzt. Nicht, solange Ex-Stasi-Offiziere ihre Rente genießen, während ihre Opfer um Rehabilitation kämpfen. Nicht, solange diese ehemaligen Spitzel ihre Opfer sogar noch lauthals krakeelend verhöhnen, wie erst im März in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen geschehen. Nicht, so ange sich beispielsweise in Sachsen Politiker von Gerichten von ihrer Stasi-Zusammenarbeit reinwaschen lassen wollen. Wenn alte Stasi- und SED-Seilschaften an der Mär von den tapferen Tschekisten im Dienste des Volkes stricken, muß man diesen Leuten mit der historischen Wahrheit begegnen. Die Stasi-Unterlagen-Behörde tut das und muß es weiterhin tun.

 

Holger Zastrow ist Vorsitzender der FDP Sachsen und der FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag.


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